Der schwarze Dom
»Erinnerst du dich nicht, Carl? Der Abend, an dem wir uns begegnet sind.«
Carl nickte. »Ein Sonntagabend. Da liefen gerade ein paar Klassiker.« Er schnippte mit den Fingern, »Marlon Brando in On the Waterfront.« Er imitierte die Stimme von Marion Brando: »Erinnerst du dich an den Abend im Garten? Du bist in meine Garderobe gekommen und hast gesagt: Das ist nicht dein Abend, Junge. Wir wollen den Preis für Wilson. – Erinnerst du dich? Das ist nicht dein Abend. Es ist meiner – ich hätte Wilson auseinandernehmen können. Ich hätte endlich etwas schaffen können. Ich hätte ein Wettkämpfer werden können…«
Tracie mußte lachen. »Das war ein irrer Film.«
»Ja«, sagte Carl. »Wir hatten einen schönen Abend.«
Tracie hielt inne und lächelte. »Ja.«
Rick wirkte verärgert. »Ich finde es ‘ne Schande, daß Mister Partridge einen Film aus einer anderen Ära ausgesucht hat.«
»Finde ich auch«, stimmte ihm Davey zu. »Dieser Opa.«
Sie stürmten auf das entsprechende Video los. Und tatsächlich, am Regal hinter der einzigen Kassette, die der Laden von dem Film hatte, war ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt angeheftet. Carl fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sich irgend jemand an diesem Tag den Film ausgeliehen hätte.
Der nächste Gegenstand war wieder eine weiße Socke. Die Socken lagen nicht direkt auf dem Regal; das Blatt wies vielmehr auf einen Pappkarton hin, der hinter den Kassettenständern versteckt war. Merkwürdig. Diese Socken waren alle naß. Tom schien das nichts auszumachen. Er nahm eine aus dem Karton, holte die andere, die er zuvor beim Baumstumpf vor der Schule gefunden hatte, und zog sich beide an. Dann lief er ein bißchen damit herum.
»Sexy Beine«, zog ihn Paula auf.
»Danke«, erwiderte Tom.
Der nächste Hinweis war so merkwürdig wie die nassen Socken. Er lautete: Für grauenhafte Echsen.
»Ein Metallgrab für grauenhafte Echsen«, ergänzte Paula. »Hört sich an wie ein Heavy-Metal-Album. Ob’s so was auch hier im Laden gibt?«
»Ich glaube kaum, daß Mister Partridge den gleichen Trick zweimal benutzt.« Rick gähnte. Tracie legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort schüttelte er den Kopf. Carl nahm an, daß sie ihn gefragt hatte, ob er sich ein bißchen ausruhen wollte. Carl hoffte, die Jagd würde Rick nicht zu sehr unter Druck setzen. Was Davey gesagt hatte, stimmte: Alle erwarteten, daß Rick das Rätsel löste.
Sie verließen den Videoladen und gingen nach draußen. Davey lief über die Straße, um Cessy abzuholen. Carl hatte noch nie in seinem Leben ein Mädchen gesehen, das so viel essen konnte, ohne dick zu werden. Es hatte ihm Spaß gemacht, mit ihr zusammenzusein. Sie war wie ein Kind. Sie hatte unglaubliche Energie. Die banalsten Sachen schienen ihr das größte Vergnügen zu bereiten. So war sie zum Beispiel derart fasziniert von den künstlichen Schwänen im Park, daß die anderen sie beinahe mit Gewalt davon hatten abhalten müssen, in den See zu waten, um sie sich genauer anzusehen.
Tom setzte sich hinten auf Carls Lieferwagen. Es schien ihm nichts auszumachen, daß die Sonne auf ihn herabknallte und daß das heiße Metall seine nackten Beine verbrannte. Paula half Rick in Tracies Camaro und verstaute seinen Rollstuhl im Kofferraum. Carl hatte Tracies Auto schon auf dem Schulparkplatz herumstottern hören. Er hatte vorgehabt, ihr zu sagen, sie solle den Wagen mal bei ihm im Laden vorbeibringen. Er hörte sich an, als hätte er dringend einen Check nötig. Aber dann hatte er doch nichts gesagt, denn er wollte nicht, daß sie den Trotteln begegnete, mit denen er zusammenarbeitete. Die Kerle würden doch nur an ihr herumtatschen. Ein paar von ihnen waren seit zwanzig Jahren in dem Laden und hatten schon Bremsflüssigkeit im Kopf. Hoffentlich erging es ihm nicht irgendwann genauso.
»Ein aufregender Tag«, meinte Tracie, als er sie zu ihrem Auto begleitete.
»Und wir haben erst die Hälfte hinter uns«, pflichtete ihr Carl bei.
»Grüß Tom von mir«, rief Paula vom Rücksitz des Camaro aus. »Sag ihm, er soll Schnaps trinken. Dann hat er immer ‘ne gute Ausrede für sich parat.«
»Hör nicht auf sie«, meinte Tracie.
»Bis bald, Carl«, sagte Rick.
»Hast du schon ‘ne Idee wegen der Echsen?« fragte ihn Carl.
»Ein paar«, gab Rick zurück. »Ich schreib’ dir aus Honolulu darüber.«
Tracie machte ihre Tür auf. »Das war’s wohl erst einmal.«
»Im Moment schon«, bestätigte
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