Der schwarze Dom
»Ich hab’ gehört, es kann schon sehr weh tun.«
Cessy nickte und beobachtete ihn. »Das glaube ich dir.« Sie starrte ihn immer noch an. Wie beiläufig streckte sie dann eine Hand aus und berührte ihn am Nacken, knetete seine verkrampften Muskeln und fuhr ihm sanft durch die Haare. Die Berührung hypnotisierte ihn förmlich. Dann rückte sie so nahe an ihn heran, daß er ihren Atem klar und kühl im Gesicht spürte. Sie hatte einen großen Mund.
Als sie sich weiter vorbeugte und ihn küßte, stockte ihm der Atem.
»Willst du zurück?« flüsterte sie, als sie sich einen Moment später wieder von ihm löste. Ihm war nicht klar, worauf sie hinauswollte, und so holte er nur tief Luft und schluckte. Er hatte Grund, begeistert zu sein, und er war es auch. Nur daß er sich so eigenartig schwer vorkam, als wäre er eben dabei in den Felsen zu versinken, auf dem er gerade saß. Ihre tiefblauen Augen waren weit geöffnet, und ihre langen schwarzen Wimpern streiften sanft seine Haut.
»Ich würde schon gerne sehen, wohin uns die Jagd führt«, meinte er.
»Davey auch. Tom auch.«
»Du nicht?« wollte er wissen.
Sie lehnte sich zurück und sah ihn nachdenklich an. Dann blitzte wieder ihr gewohnt bezauberndes Lächeln auf.
»Es könnte Spaß machen«, sagte sie.
Erst gegen sechs Uhr kam ihre Gruppe bei dem Haus an.
Er und Cessy hatten sich Zeit gelassen, als sie den Hügel wieder hinabgingen. Sie hatte es nicht länger eilig. Allerdings zeigte sie auch keinerlei Anzeichen von Ermüdung. Das begriff er nicht. Sie hatte die Ausdauer einer Olympia-Athletin und die Ausstrahlung einer Nymphe. Bei ihr ergab nichts einen Sinn. Carl war total durcheinander. Sie hatte ihn tatsächlich geküßt, und er fühlte sich so verwirrt und benommen wie schon lange nicht mehr.
Aber wieso nur hatte sie Tracie ins Spiel gebracht?
Aus Eifersucht? Wohl kaum.
Den Weg, von dem Cessy gesprochen hatte, gab es wirklich.
Um ihn vom Fuß der Hügel zu erreichen, mußten sie durch eine Einöde von dornigem Gestrüpp, Felssplittern und verdorrten Sträuchern. Jetzt brauchte der Wagen nicht bloß neue Stoßdämpfer, sondern auch eine neue Lackierung.
Sie parkten keine zehn Meter vor der Haustür entfernt.
»Sollen wir anklopfen?« fragte Carl.
»Hupen«, meinte Davey.
»Das wäre unhöflich«, schaltete sich Cessy ein.
Davey langte zur Hupe und drückte zweimal darauf. Aber die Haustür wurde nicht geöffnet. »Niemand zu Hause«, sagte er zu seiner Schwester. »Wir sind also auch niemandem zu nahe getreten.«
Sie stiegen aus dem Wagen. Binnen einer Stunde würde die Sonne untergehen. Aber nach wie vor war es glühend heiß, und der Boden hatte die Hitze gespeichert. Carls Blasen an den Füßen waren schon lange geplatzt.
Tom trug die Schuhe, die sie oben auf dem Hügel gefunden hatten. Um komplett angezogen zu sein, brauchte er jetzt nur noch eine Hose.
In einem Karton vorne auf der Veranda fanden sie eine Jeans.
Tom zog sie an. Sie paßte ihm ausgezeichnet.
Der Hinweis lautete: Weiter gehen.
»Wohin denn?« fragte Carl, der mit den anderen auf der wackeligen Veranda stand. Jemand hatte eine Reihe von Brettern aus dem Boden gerissen und sie über Haustür und Fenster genagelt. Dieser jemand hatte es sehr eilig gehabt. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie wahrscheinlich trotzdem ohne große Mühe in das Haus gelangen können.
Aber Carl wollte gar nicht. Ihm gefiel die Atmosphäre nicht, die das Haus umgab. Vielleicht lag es an dem leichten Geruch, der in der Luft lag. Die Umgebung war trocken wie die Sahara, und dennoch fühlte er sich an einen Sumpf erinnert, an fauliges Wasser und verwesenden Fisch. Wo kam der Gestank her? Wessen Haus war das hier?
Cessy hockte auf dem Verandageländer und ließ ihre langen, braunen Beine im warmen, pinkfarbenen Licht baumeln. »Um herauszukriegen, wohin wir gehen müssen«, sagte sie lächelnd, »sollten wir uns erst mal fragen, wo wir eigentlich sind.«
Davey schüttelte den Kopf und lief aufgeregt auf der Veranda hin und her. »Das spielt keine Rolle. Wir nähern uns unserem Ziel. Tom, meinst du nicht, ›Weiter gehen‹ soll heißen, daß wir diesen Weg hier weiterfahren müssen?«
»Mit Sicherheit«, antwortete Tom.
»Wie kannst du das sagen: mit Sicherheit?« fragte Carl.
»Ich hab’ es eben gesagt.«
Unbehaglich veränderte Carl seine Position. »Wenn wir auf diesem Weg bleiben, kommen wir tief in die Wüste. Weiß Gott, wo wir rauskommen.«
Tom schaute ihn an. »Du weißt es
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