Der schwarze Engel
Mitleid mit ihr. Sie schien mit ihrer
alkoholabhängigen Mutter ein sehr schweres Leben zu haben. Der Tod ihrer
Freundin hatte sie anscheinend noch mehr niedergedrückt und in ein tiefes,
schwarzes Loch aus Depressionen gestürzt. Normalerweise stellte sie solche
Fragen nie, doch dieses Mal konnte sie nicht anders und fragte vorsichtig, ob
sie ihr irgendwie helfen könnte.
Ashley schüttelte den Kopf: „Nein,
danke. Delicia kommt gleich vorbei.“
Sharon nickte verständnisvoll: „In
Ordnung. Dann möchte ich nicht lange stören und werde jetzt schnell meine
Fragen stellen. Es geht darum, dass mir zu Ohren gekommen ist, dass ein Junge
namens Dawson etwas von Lenane wollte und ihr möglicherweise diese Kette
geschenkt hat, über die wir schon gesprochen haben. Kannst du etwas dazu
sagen?“
Ohne sie anzublicken, mit einem
starren, unlebendigen Blick, antwortete Ashley: „Ich weiß es nicht. Was ich
sicher weiß, ist, dass er etwas von ihr wollte. Aber über Geschenke, die er ihr
gemacht hat, weiß ich nichts. Lenane wollte mir über die Herkunft der Kette
nichts sagen. Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass sie eine Kette
getragen hätte, die sie von Dawson bekommen hat. Ich glaube eher nicht, dass
die Kette von ihm war.“
Sharon fluchte leise innerlich.
Warum konnte Ashley nicht einfach Delicias Vermutung bestätigen oder Zeugin von
etwas Entscheidendem sein, das Dawson mit dieser Kette in Verbindung brachte.
Sie war sich so sicher gewesen, den Täter jetzt zu haben, und kaum, dass sie
die ersten festen Anhaltspunkte hatte, verschwamm alles sofort wieder in
Zweifeln. Frustriert stellte sie ihre letzte Frage: „Dawson selbst hat mir
gesagt, dass Lenane und Delicia zeitweise Unstimmigkeiten gehabt hätten. Weißt
du etwas darüber?“
Jetzt blickte Ashley die Agentin
kurz an und in ihren Augen spiegelte sich Empörung: „Niemals, das ist eine
Lüge! Lenane und Delicia waren sehr gute Freundinnen! Delicia hat viel für
Lenane getan, so wie sie für alle viel tut! Zwischen den beiden gab es niemals
Streit! Es hätte auch keinen Grund dazu gegeben.“
Als Sharon davon berichtete, dass
Dawson Delicia als eingebildete Person beschrieben hatte, über dessen
Zickigkeit sich Lenane manchmal aufgeregt hätte, wurde Ashley fast wieder
lebendig: „Das ist eine Unverschämtheit! Delicia und eingebildet, dass ich
nicht lache! Sie ist ein Engel! Sie ist die Güte in Person - Zickigkeit ist nun
wirklich überhaupt nicht ihre Art! Und ich kenne Delicia selber sehr gut, wie
Sie wissen! Was sich dieser Dawson herausnimmt, ist wirklich das Letzte! Und
ich kann mir auch gut vorstellen, warum er solche Lügen erzählt, er wollte
nämlich auch mal was von Delicia!“
Überrascht zog Sharon kurz ihre
Stirn in Falten. Da kamen ja immer weitere neue und interessante Dinge ans
Tageslicht! Und mit fast jedem Wort wuchs die Belastung auf Dawson. Als sie
Genaueres dazu wissen wollte, berichtete Ashley kurz darüber, dass er, nachdem
er es nicht geschafft hatte, bei Lenane zu landen, es eine Zeit lang bei
Delicia versucht hätte, die ihm aber ebenfalls einen Korb gegeben hätte.
Sofort fing Sharons Kopf an, zu
arbeiten. Dawson hatte etwas von Lenane gewollt, doch die hatte ihn abblitzen
lassen. Danach hatte er es bei Delicia versucht, doch die hatte ihn ebenfalls
abgewimmelt. Aus Rache und Wut hatte er deshalb Lügen über Delicia erzählt und
versucht, sie zu belasten. Damit hätte er zwei Fliegen mit einer Klappe
geschlagen - er hätte sich aus der Rolle des Verdächtigen befreien können und
mit seiner Tat vielleicht frei davon kommen, wenn er es geschafft hätte, Delicia
als Täterin glaubhaft zu beschuldigen, und außerdem hätte er Delicia damit eins
auswischen können. Dieser selbst ernannte Frauenheld schien einigen Frauen
nachzusteigen. Das aller erste Opfer war vermutlich auch Opfer seiner Begierde
geworden und hatte deshalb sterben müssen. Falls dies alles der Fall war, war
Delicia vermutlich in Gefahr, denn das würde bedeuten, dass sie das nächste
Opfer für ihn darstellen könnte. Jeder weitere Schritt, den Sharon jetzt
unternehmen würde, musste gut durchdacht sein.
14
Delicia stand vor der Tür zu
Ashleys Haus und wartete darauf, dass man ihr öffnen würde. Sie hatte Stunden
dafür gebraucht, um ausdrucksstarke Locken in ihre Haare zu drehen. Ihr Gesicht
hatte sie geschminkt und weitere Stunden darauf verwendet, um sich zu einer
selbst ernannten Schönheit zu stylen und es trotzdem noch dezent wirken
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