Der schwarze Engel
sicherlich auch
wollen, dass du nicht in Trauer versinkst, sondern versuchst, wenigstens
ansatzweise ab und zu noch etwas vom Leben um dich herum und dort draußen
wahrzunehmen. Es wäre in ihrem Sinn. Außerdem hat keiner was von Party gesagt,
es geht nur darum, dass du mal bisschen raus kommst. Wir können einen Cocktail
trinken und uns unterhalten und einfach mal einen netten Abend außerhalb deines
Hauses verbringen. Du musst hier mal raus!“
Delicia rasselte eine spontane
Predigt herunter, die Wirkung zeigte. Ashley wusste nicht recht, was sie
dagegen hätte erwidern können und bekam den Eindruck, dass ihre Freundin
wirklich recht hatte. Also stimmte sie zu und die beiden verabredeten sich so,
dass Ashley Delicia um acht abholen würde.
Delicia verabschiedete sich mit
dem Vorwand, dass sie noch sehr viel erledigen müsste und wenigstens einen ganz
kurzen Blick in ihre Lernbücher werfen wollte, auch wenn sie das eigentlich gar
nicht nötig hätte und sie sowieso alles konnte, aber es könnte ja nicht
schaden. In Wahrheit warteten Stunden von Lernen auf sie, denn sie war kurz
davor, komplett durchzufallen und das Studium nicht beenden zu können.
Frustriert über diesen Gedanken, aber glücklich über die Anerkennung, die sie
von Ashley bekommen hatte, fuhr sie nach Hause.
15
Delicia hatte Stunden damit
zugebracht, zu überlegen, was sie anziehen würde, wie sie aussehen und sich
benehmen wollte. In ihren Gedanken hatte sie verschiedene Situationen
durchgespielt und vor dem Spiegel ausprobiert, wie sie reagieren sollte, wie
sie sich darstellen würde. Wollte sie heute die Aufgekratzte sein, die Stimmung
machte, oder wollte sie die dezente Begabte sein, die durch ihre scheinbare
Ruhe alle positiv beeinflusste?
Sie hatte sich dafür entschieden,
sich etwas aktiver zu benehmen, allerdings unter dem Bedacht, ihr Image vom
Model mit dem goldenen Herzen zu repräsentieren. Ashley hatte sie mit dabei und
hoffte, dass diese ihr ein wenig bei ihrem Vorhaben helfen würde, doch da mit
Ashley im Moment nicht sonderlich viel anzufangen war, hatte sie
vorsichtshalber Vanessa mitgeteilt, wo sie sich heute Abend aufhalten würde, in
der Hoffnung, sie würde ebenfalls dorthin kommen und genau so gut Werbung für
sie machen, wie sie es auf Nathalies Party gemacht hatte.
Ihre auftoupierten Locken, für
dessen Frisur Delicia Stunden gebraucht hatte, fielen ihr locker über die
Schulter. Für ihr Make-up hatte sie ebenfalls beträchtliche Zeit aufgewandt. Es
wirkte dezent und niemand hätte erahnt, wie viel Mühe es kostete, ein Gesicht
zu zaubern, das Schönheit ausstrahlte, ohne dass man sah, dass mit einem
erheblichen Kosmetikaufwand nachgeholfen worden war.
Delicia steckte sehr viel Zeit in
alles, was bei anderen irgendeinen Eindruck hinterlassen könnte. Alles, was sie
tat, musste makellos sein. Wie zum Beispiel ihr Aussehen heute Abend. In einem
Klub, wo sie vorhatte, sich gut zu präsentieren, musste alles perfekt sitzen.
Während sie so viel beinahe neurotischen Perfektionismus angestrebt hatte,
hatte sie regelmäßige Wutanfälle bekommen. Sie konnte es nicht leiden, wenn
eine Locke nicht so saß, wie sie es wollte.
Delicia hatte immer das Gefühl,
die ganze Welt würde es ihr schwer machen wollen und egal, was sie tun würde,
es wäre nie gut genug und würde niemals reichen. Dabei hatte sie so viel
Realitätssinn verloren, dass sie nicht mehr wahrnahm, dass sie selbst die
Einzige war, der sie es nicht recht machen konnte und die so viel von ihr
forderte. Regelmäßig versank sie in Selbstmitleid und verkroch sich, während
sie Stunden lang darüber nachgrübelte, wie gemein die ganze Welt zu ihr war.
Sie war ein Engel, sie hatte das beste Herz der ganzen Welt, sie war Güte und
Fürsorge in Person, sie war das hübscheste und talentierteste Model, doch sie
hatte kein Selbstbewusstsein und ein Meer an Komplexen, weil keiner sie achtete
und liebte und ihr die Anerkennung zoll, die sie verdient hätte. Diese Gedanken
drehten sich oft im Kreis in ihrem Kopf und jedes Mal sah sie sich als Opfer.
Tiefe Depression holten sie ein, wenn Momente kamen, und in denen sie
zwangsläufig erkannte, dass sie nicht lebte, sondern nur ein Leben spielte.
Alles, was sie sich aufgebaut hatte, war auf wackeligen Steinen, geformt aus
Lügen, gebaut, nichts von alledem war echt, nichts davon war wirklich ihr
eigener Verdienst. Alle Anerkennung, die sie bekam, bekam sie aufgrund von
Betrug, da sie nicht meinte, was sie zeigte. Alles
Weitere Kostenlose Bücher