Der schwarze Engel
nickte und eilig ihren Mantel holte: „Na dann, los!“
Joe und Sharon verließen das Gebäude
und hielten bei einem Schnellimbiss, um etwas zu essen, bevor sie sich auf den
Weg zu Lenanes Eltern machten.
Sharons Blick wanderte umher,
während die beiden Agenten das Grundstück der Fernandezs betraten und auf die
Haustür zugingen, um zu klingeln. Es war ein großes Haus, das inmitten eines
großen Gartens stand, der ordentlich gepflegt war. Hier und da einige
Blumenbeete, ein Gartenhäuschen und eine Skulptur aus weißem Stein, die eine
nackte Frau zeigte. Ohne jeden Zweifel schienen Lenanes Eltern vermögend zu
sein.
Eine Frau Mitte vierzig, mit
dunklen Haaren und dunklen, geschwollenen Augen, öffnete die Tür. Sie starrte
die beiden Agenten an und betrachtete ihren Ausweis. Sharon wünschte ihr
Beileid und tat ihre Anteilnahme an dem Verlust ihrer Tochter kund, bevor sie
fragte, ob sie ihr einige Fragen stellen dürften. Widerwillig brachte Mrs.
Fernandez ein leichtes Nicken zustande und bat Sharon und Joe herein.
Nachdem sie auf dem Sofa in dem
teuer bestückten, doch trotzdem gekonnt schlicht gehaltenem Wohnzimmer, Platz
genommen hatten, begann Joe damit, Fragen über Lenane zu stellen. Die Hände der
Mutter lagen in ihrem Schoß und kneteten ununterbrochen ein Taschentuch,
während sie mit zitternder Stimme versuchte, so gut es ging, Antworten zu
geben. So etwas mit ansehen zu müssen war eines der Dinge, die Sharon an ihrem
Beruf hasste. Das Leid in den Augen der Hinterbliebenen, wenn ein Verrückter
ihr ganzes Leben durcheinander warf und Teile davon zerstörte. Sharon wollte
ihn kriegen, wer auch immer das getan hatte!
Nach einer halben Stunde war Mrs.
Fernandez kaum noch in der Lage, sich an etwas zu erinnern oder Sätze richtig
zu formulieren. Joe hatte genug Informationen, die fürs Erste reichten, um mit
den Ermittlungen fortfahren zu können. Auf diese Befragung würden noch viele
weitere folgen.
Bevor sie die verstörte Frau
zurück ließen, warfen sie einen Blick in Lenanes Zimmer. Es war das typische
Zimmer einer jungen Frau, die ihre Jugendzeit noch nicht ganz hinter sich
hatte. Überall standen Parfümfläschchen und Schminkutensilien, Haargummis und
Modezeitschriften lagen verstreut zwischen CDs und Fotos mit Freunden. Sharon
bückte sich und sah sich einige Fotos an. Sie suchte die mit verschiedenen
Gesichtern heraus und steckte sie in ihre Tasche.
Unten klingelte das Telefon. Als
Sharon und Joe die Treppe wieder hinunter kamen, konnten sie ein Gespräch mit
anhören: „Delicia, du bist das.“ Mrs. Fernandez schluchzte: „Ja, es ist
schrecklich. Danke. Ich bin den ganzen Tag zu Hause. Bis dann.“
Die Hausherrin legte den Hörer auf
und stand wie ein Häufchen Elend am Telefontisch. Sharon dankte ihr für die
Informationen und teilte ihr mit, dass sie einige Fotos mitgenommen hätte, die
sie bald wieder zurückbringen würde. Lenanes Mutter nickte mit verlorenem Blick
und Sharon war sich nicht sicher, ob sie ihre Worte wirklich verstanden hatte.
Nachdem sie ihr noch einmal ihr Beileid ausgesprochen hatte, verließ sie mit
Joe das Haus. Auf dem Weg zum Wagen wanderte Sharons Blick zum Himmel. Eine
dicke, graue Wolkendecke verbreitete Trostlosigkeit und es wunderte die
Agentin, warum es noch nicht regnete.
4
Grübelnd versuchte Sharon, die
Informationen über Lenane Fernandez gedanklich zu ordnen und in ein
übersichtliches Schema zu bringen. Das Opfer hatte vor ungefähr einem Jahr das
Jurastudium abgeschlossen und hatte vor, sich selbstständig zu machen. Ihr
Vater hatte sich bereits mehrere Immobilien angesehen, um ein schönes Gebäude
für die Kanzlei seiner Tochter auszuwählen. Diese hatte viele Bekannte und
Freunde gehabt; ihre besten Freundinnen hießen Delicia, Dana und Ashley. Einen
festen Freund hatte sie nicht gehabt und auch keine sonstigen Verbindungen zu
Männern in der letzten Zeit. Sie war allseits anerkannt gewesen, hatte keine
Feinde und niemals Schwierigkeiten gehabt, hatte keine Drogen genommen, war nur
selten in einen Klub zum Tanzen gegangen und hatte alles in allem ein fast
vorbildhaftes Leben geführt. Genau wie beim ersten Opfer kaum ein konkreter
Anhaltspunkt auf einen Riss in einem perfekt trostlos oder perfekt leuchtend
wirkendem Leben. Jedoch waren die Ähnlichkeiten nicht übersehbar.
Sharon nahm sich vor, als erstes
alle zu befragen, die mit Lenane enger in Verbindung gestanden hatten.
Allerdings betraf dies eine beträchtliche Anzahl von
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