Der schwarze Engel
nicht, dass
jemand von denen Lenane getötet hat. Sie waren neidisch auf ihr Geld, ihre
Klamotten und ihr Aussehen, wie das halt immer so ist. Sie hatte vielleicht
einige Neider, aber keine Feinde.“
„Delicia ist eine Freundin von
Lenane, richtig?“
Ashley wirkte erschöpft und sah
müde aus. „Ja, Delicia ist unsere gemeinsame Freundin. Sie ist ein Engel. Ich
bin sehr froh, dass sie da ist. Ich habe niemanden, der mir sonst hilft. Wir
trauern gemeinsam und sie hilft mir, klarzukommen. Sie sagt, Gottes Wege sind
unergründlich und wir müssen unseren Pfad weitergehen.“
Sharon nickte: „Danke, Ashley. Das
mit deiner Freundin tut mir sehr leid!“
Die Agentin war froh, als sie
zurückfahren konnte. Auch wenn sie wusste, dass sie Fälle nicht persönlich an
sich heranlassen durfte, so konnte sie sich dennoch nicht dagegen wehren, dass
ihr diese Schicksale immer wieder nahe gingen. Eine gewisse Professionalität
erlangte man mit der Zeit, die dazu führte, dass Schicksalsschläge zu
objektivem, gewohnten Bestandteil der Welt wurden. Dennoch würde sie es nie
schaffen, sich vollständig abzugrenzen. Die meisten psychisch gesunden Menschen
konnten sich nicht dagegen wehren, Mensch zu sein. Solange Sharon immer noch
etwas fühlte, wusste sie, dass sie diesen Job noch weitermachen konnte.
5
Delicias Hand lag auf Ashleys
Schulter, die tief betroffen vor sich hin starrte und immer wieder mit dem Kopf
schüttelte: „Warum Lenane, warum? Sie war so ein wundervoller Mensch! Wieso
passieren solche schrecklichen Dinge?“
Delicia säuselte: „Ja, es ist so
tragisch. Lenane war wirklich ein wunderbarer Mensch. Sie hat es am aller
wenigsten verdient, so zu sterben.“
Ashley war froh, dass sie eine
Freundin wie Delicia hatte. So einen Menschen gab es selten - sie war voller
Sanftheit und Verständnis, Mitgefühl und Aufrichtigkeit, und doch gleichzeitig
so stark. Delicia schien voller Weisheit über das Leben, voller Güte. Nicht
ohne Grund wurde sie, nach ihren Erzählungen, von allen hoch anerkannt und
geschätzt. Sie äußerte, wie außergewöhnlich Lenane gewesen war, wie viel sie
ihr als Freundin bedeutet hatte, dass sie jetzt auf sie als Engel herab blickte
und bestimmt nicht wollen würde, dass sie so sehr litten.
Nachdem Delicia eine Stunde bei
Ashley verbracht hatte, machte sie sich auf den Weg zum Friseur. Ihre
Dauerwelle ließ zu wünschen übrig und es wurde höchste Zeit, sofort dafür zu
sorgen, dass diese nicht zu stark zum Vorschein kamen. Delicia wurde oft
gesagt, dass sie nicht nur wie ein Engel sei, sondern auch wie einer aussähe. Dieses
Image hatte sie sich lange hart erkämpft, und um nichts in der Welt würde sie
es wieder aufgeben. Über Jahre hatte sie sich einen Freundeskreis aufgebaut und
sich einen Namen verschafft. Wie viel hatte sie selbst dafür geopfert, um so
weit zu kommen, wie viel hatte sie für diese Aufmerksamkeit gekämpft! Sie
konnte sich nicht mehr an den Tag erinnern, an dem sie sich selbst verloren
hatte, um jemand zu sein, der von allen geliebt und bewundert wurde.
Während sie beim Friseur saß,
zogen Erinnerungen durch ihren Kopf. Schon als Kind hatte man ihr gesagt, dass
sie etwas Besonderes sei. Man hatte sie in die schönsten Kleider gesteckt, ihre
Haare frisiert, wie die einer Puppe, ihr gute Manieren beigebracht. Ihr gesagt,
sie sei ein kleiner Engel und talentiert. Vielleicht hatte es niemand explizit
gesagt. Aber man hatte sich ihr gegenüber so verhalten. Delicia hatte schon an
Kindershows teilgenommen, bei denen Modelle gesucht worden waren. Sie war
einige Male unter die ersten vier gekommen, doch den ersten Platz hatte sie
niemals erreicht. Ihre Eltern waren beide berufstätig gewesen und hatten so gut
wie nie Zeit für ihr Kind gehabt. Nie hatte sich jemand wirklich um Delicia
gekümmert; die einzige Erziehung, die sie genossen hatte, waren entweder
Stunden, in denen sie nicht beachtet worden war, oder welche, in denen die
Eltern mit ihrem schlechten Gewissen versucht hatten, alles wieder gut zu
machen, indem sie ihr alle Wünsche erfüllten. Es hatte nie etwas gegeben, das
sie nicht hatte bekommen dürfen. Sehr schnell hatte sie herausgefunden, wie man
Menschen dazu bringen konnte, dass sie einem alles gaben. Das engelhafte
Auftreten war bis jetzt immer noch die wirkungsvollste Masche gewesen, um
andere zu manipulieren.
Delicia empfand sich selbst als
Opfer; als jemand, der nicht genug geliebt und anerkannt wurde. Sie sehnte sich
nach
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