Der schwarze Kanal
eine Legislaturperiode mehr, und die Kanzlerin zündet Lichterketten im Kanzleramt an, während der Verteidigungsminister bei einer Andacht von «Christen für den Frieden» im Bendler-Block steht. Dann werden auch die glühendsten Anhänger des linken Lagers erkennen, dass die wahren Erben von Rot-Grün heute wieder vorne auf den Regierungsbänken sitzen.
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Willkommen im Land des Regenbogens
Glückliches Baden-Württemberg. Nach 58 Jahren ist in dieser schwarzen Ecke der Republik der sozial-ökologische Fortschritt angekommen. Nun wird im Daimler-Land endlich dem Fahrrad der Vorzug vor dem Auto eingeräumt. Die Ordnungskräfte dürfen nie wieder Wasserwerfer oder Pfefferspray gegen die «Demokratie der Straße» einsetzen, wie Bürgerprotest fortan heißt; dafür bekommt jede Polizeidirektion eine «Gleichberechtigungsbeauftragte für den Bereich Genderpolitik».
Natürlich müssen alle Schulbücher überarbeitet werden, damit künftig auch die «Regenbogenfamilie» ihren angemessenen Platz im Unterricht findet. Jugendlichen Gewalttätern begegnet der Staat fortan mit «sozialem Lernen» statt konservativer «Law-and-Order-Politik», auf Drogenabhängige wartet die «Entkriminalisierung», und wer sich als Ausländer illegal im Ländle aufhält, darf auf vielfältige Eingliederungshilfen statt Abschiebung hoffen, schließlich will Baden-Württemberg «Verantwortung für die weltweiten Flüchtlingsprobleme übernehmen», wie es im 241 Seiten umfassenden Wahlprogramm der Grünen heißt. Ach ja, vergessen wir die Partnerschaft mit Burundi nicht, die zum Leben erweckt wird, um zur «Konsolidierung des burundischen Friedensprozesses beizutragen». Wer das für ein Randthema hält, kennt die Prioritäten der Grünen nicht. Burundi rangiert im «Jetzt!» überschriebenen Erneuerungsprogramm für die kommenden vier Jahre noch vor Arbeitsmarkt, Wirtschaftsförderung und Bildung.
Man darf vermuten, dass sich nicht jeder, der am Wahlsonntag dem ersten Grünen zum Amt des Ministerpräsidenten verhalf, vorher genau die Regierungspläne angesehen hat; da wird manchem noch die eine oder andere Überraschung blühen. Aber es hilft nichts mehr: In der Politik gibt es, anders als im normalen Geschäftsleben, kein Widerrufsrecht.
In der Union suchten viele die Schuld für den Machtverlust in Baden-Württemberg bei der Parteispitze in Berlin. Natürlich kann man der Kanzlerin den Vorwurf machen, den Leuten nicht entschieden genug ins Gewissen geredet zu haben. Ihr Schwenk in der Atompolitik war der untaugliche Versuch, das Bürgertum in den konservativen Stammvierteln vom Wechsel abzuhalten. Aber dafür war es mutmaßlich längst zu spät, wie der Protest gegen den Bahnhofsumbau in Stuttgart gezeigt hat. Der Politsentimentalismus, bei dem Bäume umarmt und Rindenkäfer gezählt werden, macht auch vor dem braven Bürger nicht halt – jedenfalls wenn es ihm über Jahrzehnte verlässlich gutgeht. Schon die Aufwertung der Straße zu einer Art Spontanplenum, auf dem sich, abseits der Wahlurne, der eigentliche Volkswille artikuliere, ist eine urlinke Idee. Jede Demonstration lebt seit 1968 von dem Gedanken, dass ein paar tausend Menschen, die selbstgemalte Schilder hochhalten und mehr oder minder geschickt gereimte Verse vortragen, ernst zu nehmender sind als parlamentarische Mehrheiten.
Die Basis des Bürgeraufruhrs, der die Grünen im Ländle an die Macht gebracht hat, bildet nicht gesellschaftlicher Reformwille, sondern Langeweile. Es ist kein Zufall, dass sich unter den Stuttgart-21-Aktivisten neben Studenten und Rentnern, die eh nicht so recht wohin mit ihrer Zeit wissen, in erstaunlicher Anzahl die 45-jährige Hausfrau aus der Villa mit Hanglage einfand, um kurz vor den Wechseljahren noch einmal die Aufregung des Aufruhrs zu spüren. Kaum etwas ist ja erregender als die Wonnen der Unangepasstheit, das machte schon immer die besondere Verführungskraft der linken Ideenwelt aus. Man fühlt sich gleich so erfrischt und verjüngt, wenn man für das Gute kämpft und dabei das Blut des heiligen Zorns in den Schläfen spürt.
Wie überall im Leben gilt allerdings auch hier: kein Genuss ohne Reue. So wie die Stuttgarter Notarsgattin ganz überrascht war, wenn sich vor dem Südportal des Hauptbahnhofs am Ende doch der Wasserwerfer in Bewegung setzte, wird sie nun auch entgeistert feststellen müssen, dass grüner Erneuerungselan nicht bei der Planung weiterer Radwege Halt macht. Mit der Übernahme der
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