Der schwarze Kanal
der Argumentation, finden sich Beispiele für Behauptungen, die keine Erwiderung verdienen, sondern eine Zurechtweisung. Wer bestreitet, dass die «Götter zu ehren und die Eltern zu lieben sind», hat sich bei Aristoteles von vornherein disqualifiziert. Zu den Meinungen, mit denen man sich in Deutschland unmöglich macht, gehört die Verharmlosung des Nazi-Reichs. Wer die Verbrechen der ersten deutschen Diktatur zu relativieren sucht, hat in dem Kreis derer, auf deren Meinung man etwas gibt, mit Recht nichts zu suchen.
Tabus verlieren allerdings ihre Bindungskraft, wenn man ihren Gültigkeitsbereich laufend erweitert. Der Grund für diese Ausweitung ist häufig nicht so sehr die Sorge um den Fortbestand der Demokratie als vielmehr Argumentationsfaulheit. Es ist allemal einfacher, eine Meinung, die einem nicht in den Kram passt, als rechts abzutun, als sie wohlbegründet zu widerlegen. Sicher wäre es wünschenswert, noch mehr Menschen würden sich für den Zuzug von außen begeistern oder den Islam für eine kulturelle Bereicherung halten. Die Erfahrung lehrt nur, dass es wenig hilft, den Leuten ihre Meinung verbieten zu wollen. Man kann versuchen, ihnen diese auszureden oder sie gar von dem Gegenteil zu überzeugen. Das würde allerdings voraussetzen, dass man sich zu ihnen an den Stammtisch stellt. Aber das verbietet sich natürlich von selbst: Stammtische sind ja auch ganz furchtbar rechts.
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Die Macht, der Sex und die Linke
Zu den großen Erfolgen der Frauenbewegung gehört die unverzügliche Ächtung sexueller Vergehen. Wer sich dem Verdacht aussetzt, hier die etablierten Regeln übertreten zu haben, darf auf Verständnis nicht hoffen; das Urteil liegt in der Regel vor, ohne dass ein Gericht zusammentreten muss. Sexuelle Gewalt kennt keine Entschuldigung, wobei sich das Verständnis, was als Gewalt anzusehen ist, ständig weiterentwickelt hat. In fortschrittlichen Ländern reicht inzwischen schon der nachträgliche Entzug einer einmal erteilten Einwilligung zum Geschlechtsverkehr, um den Tatbestand der sexuellen Nötigung zu begründen, wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange bei einem Besuch in Schweden erfahren musste.
Die Ausgangslage im Fall Dominique Strauss-Kahn hätte so gesehen klarer nicht sein können: Der Vorwurf lautete auf Vergewaltigung, also ein kriminelles Delikt, das überall auf der Welt empfindliche Strafen nach sich zieht. Dazu kam das soziale Gefälle, dem im feministischen Diskurs naturgemäß besondere Beachtung geschenkt wird: Er alt, weiß und reich – sie jung, schwarz und arm. Diese Kriterien hätten eigentlich genügen sollen, um die Sympathien klar zu verteilen. Doch eigenartig, diesmal riet die räsonierende Klasse zu Besonnenheit und Zurückhaltung im Urteil. Viel war von der Unschuldsvermutung die Rede, die nicht gewahrt worden sei. Besonderen Unmut erregten dabei die Umstände, unter denen der ehemalige IWF -Chef dem New Yorker Haftrichter vorgeführt wurde: Dass er bei diesem Termin neben gewöhnlichen Kriminellen und Kleindealern zu sitzen kam, galt den Kritikern des Verfahrens als schändliche Demütigung. «Man wirft einen Mann nicht so den Hunden vor», erklärte der als reisendes Weltgewissen bestens ausgewiesene Bernard-Henri Lévy voller Mitgefühl in der «Zeit».
Man sollte meinen, dass gerade in linken Kreisen das entschiedene Vorgehen der amerikanischen Justiz Anerkennung hätte finden sollen. Die Annahme, dass vor den Schranken des Gerichts alle gleich sind, galt schließlich immer als eine der entscheidenden Errungenschaften der Aufklärung, aber offenbar fällt der Abschied von der Klassenjustiz doch schwerer als gedacht, wenn es einen aus den eigenen Reihen trifft. In Frankreich konnten viele Verteidiger des Beschuldigten in diesem Fall nur einen abscheulichen Auswuchs «puritanischen Irrsinns» sehen beziehungsweise ein «Komplott», um den braven Mann zu erledigen. So weit wollte man in Deutschland nicht gehen, aber auch hier überwogen die Klagen über die «Häme und den Spott», wie es ausgerechnet in der «taz» hieß, die sonst noch die kleinste Überschreitung linker Moralnormen unnachsichtig ahndet.
Offenbar spielte bei der Bewertung der Vorgänge die politische Herkunft des Verdächtigen keine ganz unbedeutende Rolle. Dass Strauss-Kahn ein treuer Parteigänger der Linken ist, der bis zu dem Vorfall noch als Kandidat für das französische Präsidentenamt galt, ließ die Vorwürfe gegen ihn irgendwie in einem anderen Licht
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