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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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erscheinen. Man stelle sich nur einmal vor, der Gast im New Yorker «Sofitel» wäre kein führender Sozialist, sondern ein Mann der rechten Seite gewesen. Es sind zumindest Zweifel erlaubt, ob die Leitkommentare in vielen Zeitungen dann auch so abwägend ausgefallen wären.
    In der richtigen Gesinnung einen mildernden Umstand zu sehen, hat auf der Linken durchaus Tradition – das gilt sogar für Sexualdelikte, allen feministischen Proklamationen zum Trotz. Dass Andreas Baader Frauen grundsätzlich nur als «Fotzen» bezeichnete, hat seinem Status als Revolutionsheld nie Abbruch getan; über diese Verbalattacken, die spätestens im RAF -Knast ins offen Sadistische umschlugen, haben selbst überzeugte Frauenrechtlerinnen großzügig hinweggeschaut. Oder erinnern wir uns an Bill Clinton: Als der amerikanische Präsident erst eine Praktikantin verführte und sie dann, nachdem die Sache ruchbar wurde, von seinen Presseleuten als Flittchen denunzieren ließ, lag die Sympathie der aufgeklärten Öffentlichkeit nicht bei dem Mädchen, sondern dem Verführer.
    Selbst Sex mit Minderjährigen erfährt im fortschrittsgesinnten Milieu nicht Entsetzen, sondern Solidarität, wenn der Täter als Kulturschaffender ausgewiesen ist und damit als Angehöriger einer Schicht, für die schon immer andere Normen galten. Bis heute besteht gegen den Regisseur Roman Polanski ein internationaler Haftbefehl, weil er 1977 in seinem Haus in Los Angeles eine 13-Jährige missbrauchte und sich dann kurz vor der Urteilsverkündung nach Frankreich absetzte. Doch statt seine Auslieferung zu verlangen, um das Verfahren endlich zum Abschluss zu bringen, forderte die Weltkulturgemeinde die sofortige Freilassung, als ihn die Schweizer Behörden vorübergehend in Haft nahmen. Dass sich die Richter in New York schwertaten, Strauss-Kahn gleich wieder auf freien Fuß zu setzen, hat auch damit zu tun.
    Die Gerichtshöfe der Moral kennen keine Strafprozessordnung, hat der Philosoph Hermann Lübbe einmal angemerkt. Man kommt deshalb an ihnen zügig zu einem Urteil, was manche durchaus als Vorteil empfinden mögen. Nur ist die Moral eben auch eine sehr unzuverlässige Instanz, wie sich zeigt. Manchmal hat der reguläre Gang der Justiz durchaus seine Vorteile, er ist jedenfalls deutlich unbestechlicher.

[zur Inhaltsübersicht]
Wo der Palästinenser-Schal fröhlich flattert
    Eine erfreuliche Entwicklung in der Bundesrepublik ist das weitgehende Verschwinden des Antisemitismus. Soweit man den Umfragen trauen kann, haben die meisten Bürger außerhalb eines bestimmten Milieus über Juden keine besondere Meinung, das heißt, sie denken über sie nicht viel besser oder schlechter als über andere Leute auch. Rechtsradikale fristen bis heute politisch ein Außenseiterdasein. Im Deutschen Bundestag sitzt keine Partei, deren Abgeordnete antisemitische Positionen vertreten oder mit Judenhassern sympathisieren.
    Aber halt, genau das stimmt ja leider nicht ganz. Diese Partei gibt es doch, sie firmiert nur unter einem anderen Namen. Sie heißt in diesem Fall nicht NPD , sondern Die Linke. Die Linkspartei ist die einzige Partei, deren Abgeordnete man bei Veranstaltungen sieht, wo «Tod Israel!» skandiert wird. Nur Vertreter der Linkspartei bleiben demonstrativ sitzen, wenn der israelische Staatspräsident am Tag der Befreiung von Auschwitz den Bundestag besucht, und man darf sicher sein, es ist kein Altersgebrechen, das sie auf ihrem Stuhl hält. Das Parlament sah sich unlängst sogar genötigt, eine aktuelle Stunde anzuberaumen, um über «mögliche antisemitische und antiisraelische Positionen» bei den bekennenden Freunden des Sozialismus zu reden. Wer dachte, das ungeklärte Verhältnis zur DDR sei das größte Problem der SED -Nachfolgeorganisation, sieht sich getäuscht: Auch im Verhältnis zur ersten deutschen Diktatur scheint bei ihr noch einiges im Unklaren zu liegen.
    Nun gibt es in jeder Partei Wirrköpfe, bei der Linkspartei ist deren Anzahl eben besonders hoch, könnte man entschuldigend einwenden. Natürlich gibt es lange Erklärungen des Parteivorstands zum Existenzrecht Israels und der Verpflichtung, die der Bundesrepublik aus der Nazi-Zeit erwächst. Das Problem ist nur: Es hat im Zweifelsfall keine Folgen. Beziehungsweise es interessiert offenkundig auch den Vorstand nicht besonders, wenn sich die eigenen Leute kaum um solche Proklamationen scheren. Anders ist es ja nicht zu erklären, dass elf Abgeordnete der Linkspartei den Saal verlassen dürfen, wenn

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