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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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einmischen, ihren Auftrag versteht sie dezidiert politisch, also blüht auch bei ihr das Resolutionswesen.
    Mit dem Antrag «Anders wachsen» forderte der Kirchentag die zehn größten Unternehmen des Landes auf, «Verzicht zu üben» beziehungsweise «Alternativen zum Wirtschaftswachstum zu entwickeln» (Resolution «T3/001»). An den Bundestag erging der Appell, die in der Bundesrepublik lebenden Roma von jeder Abschiebung auszunehmen. «Ihre Kinder sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, gehen hier zur Schule, machen Abitur oder eine Ausbildung», heißt es in dem Antragstext (Resolution «M3/001»), was nur den Schluss zulässt, dass offenbar in deutschen Schulen öfter schulfrei ist, als man dachte. Die eigene Kirchenleitung wurde ermahnt, sich endlich des Schicksals «der als Hexen hingerichteten Bürger und Bürgerinnen» anzunehmen und die Opfer durch «Aufklärung und öffentliches Gedenken» zu rehabilitieren. Und an die Bundeskanzlerin richtete sich der dringende Aufruf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem «Recht auf ein Leben ohne Bedrohung durch atomare Strahlen» zum Durchbruch zu verhelfen.
    Überhaupt die Energiewende. Kein Thema war auf dem Kirchentag so präsent, nicht nur bei der «Kirche mit Kindern gegen die Atomkraft», die sich praktischerweise gleich direkt an die Kanzlerin wandte. Was die grünen Protestler zu Tausenden auf die Straße treibt, muss auch den grünen Protestanten bewegen. So forderte der Kirchentag den Ausstieg aus der Atomkraft innerhalb der nächsten fünf Jahre, was sich noch nicht einmal die Ökopartei traut – und, weil man so schön in Schwung war, auch gleich ein Verbot aller neuen Kohlekraftwerke.
    Nun lässt sich einwenden, dass es auf Dauer schwierig sein dürfte, ein Industrieland ganz ohne verlässliche Energiequellen am Laufen zu halten; aber in einer Welt, wo man vor allem dem Gefühl vertraut, sind solche Überlegungen nachrangig. Mit dem Herzen zu denken und dem Kopf zu fühlen, wie es schon bei Konstantin Wecker hieß, gilt auf dieser Art von Veranstaltung als besondere Tugend. Mit der Aufklärung hat sich der Sentimentalismus nie wirklich anfreunden können; Rationalität muss seit langem mit dem Vorwurf leben, zynisch, kalt, ja irgendwie männlich zu sein. Der Stolz auf das unbedarfte Denken ist geradezu Signum der Gefühlstheologie. «Präreflektierte Unmittelbarkeit» sei doch «eigentlich ganz schön», verkündete Margot Käßmann zum Auftakt der grünen Tage in Dresden, womit sie zweifellos vielen Zuhörern aus dem – ja: – Herzen sprach.
    Käßmann ist dabei nur die bekannteste Vertreterin einer Generation von Theologen, die den Auftrag schon immer weniger in der spirituellen Anleitung der Gläubigen, sondern vielmehr im weltlichen «Engagement» sahen, um einen Kernbegriff ihres Amtsverständnisses zu nutzen. Diese Generation, aufgewachsen und politisiert in den siebziger Jahren, fand im Protest gegen die Nachrüstung und den deutschen Atomstaat zusammen; ihre Erweckungsorte sind Mutlangen, Brokdorf und der Bonner Hofgarten. Die Folgen der Selbstsäkularisierung sind heute in vielen Gottesdiensten ablesbar. Kaum ein Pastor traut sich noch, ungeniert von Himmel und Hölle zu sprechen, und wenn, dann ist das nur allegorisch gemeint, wie er sich hinzuzufügen beeilt. Stattdessen findet sich in jeder guten Sonntagspredigt die Litanei über den Kriegstreiber Amerika, die Schrecken der Globalisierung, das Elend der Hartz- IV -Empfänger.
    Diese Diesseitsfixierung hat einen für die Kirche unschönen Nebeneffekt: Mit der Verschiebung des Erlösungshorizonts, der sich nunmehr ganz aufs Heute richtet, setzt sie sich der Konkurrenz zu weltlichen Glaubensorganisationen aus, die dem Bedürfnis nach entschiedenem Handeln sehr viel besser nachkommen können. Warum nicht gleich Mitglied bei Greenpeace, Peta oder Amnesty werden? Eine Antwort war lange die spirituelle Autorität der Kirche und ihre Auskunftsfähigkeit über das Jenseits. Dieses Privileg aufgegeben zu haben, hat sich für sie als ziemlich kostspielig erwiesen, wie ein Blick auf die Zahl der Gläubigen zeigt. Die evangelische Kirche scheint dennoch fest entschlossen, die Verharmlosung der Religion, und nichts anderes bedeutet ja ihre Politisierung, weiterzutreiben. Echtes Engagement scheut keine Kosten.

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«Aber ich habe Angst»
    Wie werden wir den Ehec-Ausbruch, der Deutschland wochenlang den Atem raubte, in Erinnerung behalten? Als Ebola des

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