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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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im Stuttgarter Landtag der erste grüne Ministerpräsident gewählt wurde, nahm nicht nur der ökologisch-soziale Aufbruch seinen Lauf, von dem allenthalben so viel die Rede war – auch im Verhältnis zwischen Einheimischen und Zugezogenen begann ein neues Kapitel. Zu den ersten Amtshandlungen der Regierung Kretschmann gehörte die Einrichtung eines eigens zu gründenden Ministeriums für Integration mit der Berliner Migrantin Bilkay Öney an der Spitze, ein Novum in der verwaltungstechnisch nicht eben unterentwickelten Bundesrepublik.
    Natürlich kann man sich fragen, ob nicht auch eine gut ausgestattete Abteilung im Sozial- oder Kultusministerium ausgereicht hätte, den wohldokumentierten Missständen in der Ausländerpolitik beizukommen. Nach wie vor ist ja nicht ganz klar, wie die rot-grüne Musterkoalition die vielen Wohltaten bezahlen will, die sie den Bürgern in Aussicht gestellt hat. Die Einnahmen aus der Erhöhung der Grunderwerbsteuer stehen bislang nur auf dem Papier, während die Ausgaben für weitere Kita-Plätze und den Ersatz der Studiengebühren ganz unmittelbar zu Buche schlagen. Aber das sind vermutlich kleinliche Mäkeleien angesichts des besonderen Aufbruchssignals an alle Menschen mit ausländischen Wurzeln, wie man es sich von dem Integrationsministerium erhofft.
    Bedeutsamer ist in diesem Zusammenhang, was Frau Öney an die Sitze der neuen Verwaltung geführt hat. Einer größeren Öffentlichkeit ist die Betriebswirtin bislang erst einmal aufgefallen, und zwar als sie vor drei Jahren ihr Amt als integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus niederlegte, um zur SPD zu wechseln, die sie nun für den Posten in Stuttgart benannte. Ansonsten weiß man von ihr nicht viel mehr, als dass sie türkische Filme, deutsches Kabarett und britische Teekultur schätzt. Das ist alles sehr sympathisch, reicht aber normalerweise nicht, um in eine Landesregierung berufen zu werden.
    Wer sich mit Öneys Lebenslauf beschäftigt, kommt um die Vermutung nicht herum, dass es vor allem ihre Geburt in der Türkei ist, die sie für den Job in Stuttgart qualifiziert. Damit aber stellt sich die Frage, wer hier eigentlich neben dem eigenen Parteipersonal integriert werden soll. Unbedarftere könnten auf die Idee kommen, dass die neue Regierung die Probleme bei der Integration der Ausländer als so gravierend und zukunftsgefährdend einschätzt, dass man sie jetzt in den Kabinettsrang von Bildung oder Wirtschaftsförderung erhebt. Aber so will man die Sache bei Rot-Grün selbstredend nicht verstanden wissen. Wer im Koalitionsvertrag nachsieht, was denn die Aufgaben des neuen Ministeriums sein sollen, findet nicht viel mehr als die Erklärung, Grüne und SPD wollten das Land weltoffener gestalten. «Integration braucht Vorbilder, die belegen, dass sich Anstrengung lohnt», heißt es dort. Das ist ein schöner Satz, nur lässt gerade die Wahl der Ministerin Zweifel aufkommen, wie ernst er gemeint ist.
    Zu den Tücken der Identitätspolitik gehört die Legitimation durch Betroffenheit. Sobald es um die Förderung einer gesellschaftlichen Minderheit geht, die der besonderen Zuwendung des Staates bedürftig erscheint, gilt die entsprechende Gruppenzugehörigkeit als Voraussetzung für eine öffentliche Karriere. Nur sie garantiert das als notwendig erachtete Einfühlungsvermögen, ohne das man in diesem Fall nicht auszukommen glaubt. So ergibt es sich, dass an der Spitze einer Gleichstellungsstelle regelmäßig eine Frau steht, nur ein Behinderter andere Behinderte vertreten kann und das Schwulenreferat selbstverständlich von einem bekennenden Homosexuellen geleitet werden muss. Für die Angehörigen von Minderheiten ist dieses Auswahlprinzip durchaus von Vorteil, schränkt es doch die Zahl der Mitbewerber deutlich ein. Nur limitiert es eben weitere Aufstiegschancen – diese Pointe scheint den Befürwortern der Identitätspolitik zu entgehen.
    Auch positive Diskriminierung bleibt Diskriminierung. Niemand käme auf die Idee, von einem Gesundheitspolitiker den Nachweis einer schweren Erkrankung zu erwarten oder von dem Vorsitzenden eines Rechts- und Innenausschusses die Abstammung aus einer Polizistenfamilie. Welche Ressorts so wichtig sind, dass man bei der Besetzung lieber von der Herkunft als Qualifikationsnachweis absieht, wissen die neuen Herren in Stuttgart nur zu genau. Wenn man schon diese Kategorie bemühen will, wäre es jedenfalls deutlich fortschrittlicher, einer Deutsch-Türkin die

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