Der schwarze Kanal
Am besten, man stellte bei der Gelegenheit auch gleich das Privatfernsehen ein. Das öffentlich-rechtliche System hat zwar ebenfalls nicht nur «Arte» im Programm, wie ein Abstecher in den «Musikantenstadl» zeigt. Aber dafür haben hier wenigstens die Politiker das Sagen, das garantiert immerhin eine gewisse Durchgriffshaftung bei zu viel journalistischer Flegelhaftigkeit.
Was für ein Segen, dass es Rupert Murdoch gibt. Nach den Enthüllungen über die Abhörpraktiken bei der Sonntagszeitung «News of the World» durften sich alle bestätigt fühlen, die dem Boulevard schon immer alles zutrauten. Die meisten, die sich hierzulande über Murdoch und die Recherchepraktiken in dessen Reich erregten, haben zwar noch nie eines seiner Produkte in der Hand gehalten, aber man kann sich ja auch fremdempören. Das ist sogar noch schöner, als wenn man selbst nah dran ist. Nüchtern betrachtet zeigten die Vorgänge nur wieder einmal, zu welchen Mitteln manche Menschen im Geschäftsleben greifen, wenn ihnen niemand klar sagt, wo die Grenzen liegen. Das ist im Journalismus nicht anders als in jedem anderen Gewerbe. Da werden dann auch Handys abgehört und Polizisten bestochen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das ist alles eindeutig illegal und deshalb ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Aber so kühl kann man die Dinge natürlich nicht sehen, wenn es um einen Mann wie Murdoch geht. Da treten selbst die Fußball- WM und das Sommerinterview mit der Kanzlerin in den Hintergrund.
Wer den Fernseher einschaltete oder die Meinungsspalten der großen Blätter studierte, musste den Eindruck gewinnen, dass der Pressezar aus Adelaide in der Downing Street regiert. Überall konnte man über die Medienmacht lesen, die Murdoch walten lässt. Doch das eigentliche Vergehen war seine Meinung, auch wenn das keiner so sagte. Der Mann gilt als konservativer Knochen, der seine Blätter verlässlich für die rechte Sache trommeln lässt; das reichte, um ihn zur Hassfigur zu machen. Darin gleicht er dem Fernsehunternehmer Leo Kirch, dessen größtes Verbrechen ja auch immer in der falschen Gesinnung bestand.
Mit Sicherheit wären die fortschrittlichen Kräfte dem Boulevard ein wenig gnädiger gesinnt, wenn sie selbst in dem Metier erfolgreicher wären. Aber es ist eben wahnsinnig schwer, eine linke «Bild» zu machen, wie sich zeigt. Man kann den Lesern noch so oft vorbeten, warum jugendliche Straftäter Mitgefühl statt Gefängnis verdienen und jeder, der von außen zu uns kommt, ein Segen für das Land ist. Die Leute halten trotzdem hartnäckig an ihren Vorurteilen fest und lassen die pädagogisch wertvolle Botschaft respektlos in den Regalen liegen. Die Medienwissenschaft hat daraus den Schluss gezogen, dass Boulevardmedien die Menschen verderben, indem sie ihnen unterjubeln, wie sie zu denken und zu wählen haben. Tatsächlich ist es wohl eher so, dass der Erfolg der Boulevardpresse in ihrem sicheren Gespür für Mehrheitsstimmungen liegt, die sie dann in griffige Zeilen gießt.
Wer die Boulevardzeitungen eines Landes verachtet, der verachtet in Wahrheit das Volk, das solche Presseerzeugnisse groß und mächtig macht. Die Wortführer der Intelligenz haben sich immer schwergetan mit der einfachen Masse. Es ist ja auch wirklich zu schmerzhaft, wenn man ganz genau weiß, was gut für das Land ist, aber nicht die entsprechende Zustimmung erhält, ob am Kiosk oder später an der Wahlurne. Schon in der Französischen Revolution mussten die Aufklärer erkennen, dass zwischen dem Volk, wie sie es erdachten, und dem Volk, wie es tatsächlich als revolutionäres Subjekt auf die Bühne trat, ein gravierender Unterschied bestand. «Ich sage nicht, dass sich das Volk schuldig gemacht hat», erklärte Maximilien de Robespierre im Februar 1793 nach Plünderungen in Paris. «Aber wenn das Volk schon aufsteht, sollte es dann nicht ein seiner Bemühung würdigeres Ziel haben, als es sich nur nach jämmerlichen Nahrungsmitteln gelüsten zu lassen?» So ist es seitdem immer gewesen: Die Avantgarde macht hochherzige Pläne, die Menge verfolgt andere, nahliegendere Ziele.
Man kann der Linken nur wünschen, dass Rupert Murdoch noch ein wenig durchhält. Da weiß man wenigstens, mit wem man es zu tun hat. Leo Kirch ist tot, Berlusconi als Ministerpräsident abgetreten – wenn jetzt auch noch der Mann aus Australien verschwindet, ist niemand mehr übrig, den man für die eigenen Misserfolge schuldig sprechen kann. Das wäre dann wirklich ein
Weitere Kostenlose Bücher