Der schwarze Kanal
Verlust.
[zur Inhaltsübersicht]
Sozialismus im Netz
Der Kapitalismus steht nicht überall in hohem Ansehen, wie man weiß. Zeit also, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Woran ließe sich das besser festmachen als am World Wide Web? Kaum eine andere technische Revolution zeigt so eindrucksvoll, zu welchen Leistungen die freie Marktwirtschaft in der Lage ist, wenn Innovationskraft und Kapital zusammenkommen. Was im Sommer 1991 mit der Freigabe des WWW für eine breitere Öffentlichkeit begann, ist eine Erfolgsgeschichte der Globalisierung, von der man umstandslos sagen kann, dass sie das Leben von Millionen Menschen nicht nur leichter, sondern auch produktiver gemacht hat.
Aber so einfach liegen die Dinge natürlich nicht, jedenfalls nicht, wenn man der Netzgemeinde angehört, die das Interpretationsmonopol beansprucht, wie die Entwicklung des Internets in Wahrheit zu sehen und zu bewerten ist. Hier steht man dem System grundsätzlich kritisch gegenüber, was bedeutet, dass man höhere Dinge im Blick hat, allen voran die Überwindung der bürgerlichen Wirtschaftsordnung, der das Ganze seine Entstehung verdankt.
Es ist eigenartig: Kaum eine Erfindung des Kapitalismus hat solche Vermögen hervorgebracht (und auch vernichtet) wie das Internet, aber bis heute hält sich die romantische Vorstellung vom Netz als einer Art frühsozialistischer Urkommune, in der alle Unterschiede eingeebnet und die traditionellen Besitzverhältnisse aufgehoben sind. Wer die zahllosen Verlautbarungen und Manifeste zum Siegeszug des Internets ansieht, findet statt eines Lobs der Risikofreude, die aus der Profitgier erwächst, sämtliche Topoi der Kapitalismuskritik wieder. Da ist die Rede von einer Gegenöffentlichkeit zu den etablierten Medien, das Loblied des herrschaftsfreien Diskurses, wo alle irgendwie gleich sind, die Klage über die Monopole, die uneinsichtig an ihrer alten Marktmacht festzuhalten suchen.
Das große Wort führen auch hier vor allem Leute, deren wesentlicher Beitrag zur digitalen Revolution der Kauf eines Modems und ein Vertrag mit der Telekom sind. Das hält die Netzaktivisten selbstredend nicht davon ab, mit großer Verve für die Vergesellschaftung zumindest jener Güter einzutreten, die sich auf elektronischem Wege verschicken lassen. Tatsächlich durchzieht viele Proklamationen zum Internet ein merkwürdiger Egalitarismus, dem das Beharren auf Eigentumsrechten grundsätzlich verdächtig ist. In der Netzutopie spielt Geld keine bestimmende Rolle mehr. In dieser schönen neuen Welt nimmt sich jeder gemäß seinen Bedürfnissen und bezahlt dafür nach seinen Fähigkeiten, wenn überhaupt.
Alle Versuche, der bürgerlichen Eigentumsordnung auch im Internet Geltung zu verschaffen, werden von den Netzenthusiasten als Einschränkung ihrer Freiheitsrechte verstanden. Schon die Abschaltung einer Web-Seite zum illegalen kostenlosen Genuss von Kinofilmen kann ihren Protest hervorrufen; dann ist sofort von Zensur die Rede, beziehungsweise von einem Angriff auf die «Freiheit des Internets». Aber wie sollte es auch anders sein, wenn bereits das von Urheberrechten befreite Kopieren als unveräußerliches Menschenrecht gilt?
Sobald es um die «gesellschaftliche Teilhabe» der Bürger geht, müssen andere Interessen zurückstehen, allen voran kommerzielle. «Die Schaffung von künstlichem Mangel aus rein wirtschaftlichen Interessen erscheint uns unmoralisch», heißt es im Forderungskatalog der Piratenpartei, die sich als politischer Arm der Bewegung versteht. «Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte.» Dass die Piratenpartei ihr Programm um die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen erweiterte, ist da nur folgerichtig. Wer sich einmal an den Gedanken gewöhnt, dass alles frei ist, will sich um den Lebensunterhalt keine Sorgen mehr machen müssen.
Wo die Respektlosigkeit vor der Unverletzlichkeit des Eigentums zur Tugend wird, verlieren auch andere Bürgerrechte an Geltung, das kann nicht ausbleiben. Natürlich wäre es wünschenswert, Unternehmen wie Google oder Facebook würden ihre Kundendaten wie einen privaten Schatz hüten, anstatt sie der Verwertung zuzuführen, aber so lässt sich kaum ein Geschäft aufziehen. Damit ist die Enteignung in der Privatsphäre angekommen, auch wenn das mit «open access» so nicht gemeint war.
Das Internet mag alles Mögliche revolutioniert haben, aber die Bedingungen
Weitere Kostenlose Bücher