Der schwarze Kanal
Griff bekommen.
Griechenland ist das prominenteste Beispiel, wohin einen die fortgesetzte Korruption der Wähler durch die zu Wählenden führen kann. Aber auch den Deutschen ist die Bestechungspolitik nicht fremd, wie ein Blick in den Katalog sozialstaatlich verbriefter Leistungen zeigt, der verbilligte Opernbillets ebenso einschließt wie sozial gestaffelte Fernsehgebühren und Vater-Kind-Kuren für den gestressten Teilzeitangestellten. Das alles hat selbstverständlich seinen Preis. Auf über zwei Billionen Euro summieren sich die Schulden aller deutschen Gebietskörperschaften, und in dieser Summe sind noch nicht die Zahlungsverpflichtungen enthalten, die wir mit der Zusage an die jetzt arbeitenden Generationen eingegangen sind, im Alter für einen auskömmlichen Ruhestand zu sorgen.
Die Sachwalter des Sozialen reklamieren für ihr Handeln gerne moralische Gründe. Doch am Verzehr von Zukunft, und genau darum handelt es sich bei der Fürsorge auf Pump, ist nichts moralisch. Das schöne Wort von der «Umverteilung», das jetzt wieder in Mode ist, ruft die Vorstellung hervor, als ob von denen, die mehr haben, denen geholfen würde, die des Beistands anderer bedürfen. Aber das beschreibt einen Zustand, der schon lange der Vergangenheit angehört. Weil es auch in Deutschland nicht genug Reiche gibt, um alle Versprechen des Sozialstaats zu finanzieren, ist man dazu übergegangen, die Umverteilung generationenübergreifend zu organisieren, von den noch Ungeborenen auf die heute Lebenden. Das ist auch «postdemokratisch», allerdings in einem viel grundsätzlicheren Sinne, als das bei Habermas gemeint ist.
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Der Millenniums-Ökonom
Woher kommt bloß diese Helmut-Schmidt-Begeisterung? Ist es der Respekt vor dem Durchhaltevermögen des Altkanzlers, der im Dezember 93 Jahre alt wurde? Die Freude über ein vertrautes Gesicht in einer sich immer schneller wandelnden Zeit? Die heimliche Bewunderung für das Kettenrauchertum? An seinen Einlassungen zur aktuellen politischen Lage kann es jedenfalls nicht liegen, dass Schmidt bei den Deutschen in so hohem Ansehen steht – es sei denn, man kommt zu dem Schluss, dass sie an kognitiver Dissonanz leiden, wie die Psychologie einen Zustand nennt, in dem Gefühltes, Gehörtes und Erlebtes auseinanderfallen.
Rekapitulieren wir kurz, wie der Herausgeber der «Zeit» anlässlich der Verabschiedung von EZB -Präsident Jean-Claude Trichet die größte Krise beurteilte, in der sich Europa seit Ratifizierung seiner Gründungsurkunden befindet. Die Europäische Zentralbank habe sich als handlungsfähig erwiesen, ihre Politik als wirksam, erklärte Schmidt dem andächtig lauschenden Publikum. «Das vielfältige Gerede über eine sogenannte Krise des Euro ist bloß leichtfertiges Geschwätz von Politikern und Journalisten.» Sogenannte Krise des Euro? Man weiß nicht, was neben Tabak sonst noch auf dem Herausgeber-Flur der «Zeit» geraucht wird, aber was immer es ist, man wünscht sich, man hätte es auch zur Hand, wenn man dieser Tage die Nachrichtenlage verfolgt. Exakt 23 Tage nach Schmidts Auftritt in Brüssel brachte der Zinssprung bei italienischen Staatsanleihen die Währungsunion an einen Punkt, an dem es nach Meinung vieler nur noch zwei Möglichkeiten gab: Entweder diese Union bricht auseinander. Oder die Zentralbank leiht Italien das Geld, das es am Markt nicht mehr zu finanzierbaren Kosten bekommen hat – was nichts anderes bedeutet, als dass Europa seine Notenpressen anwirft.
Immerhin, Schmidt ist sich treu geblieben, da gibt es nichts. Schon bei der Einführung des Euro gehörte er zu denen, die völlig unbeirrt, um nicht zu sagen emphatisch an ein gutes Ende dieses Abenteuers glaubten. Zweiflern, die auf die unterschiedlichen Mentalitäten und Wirtschaftskulturen verwiesen, antwortete er, sie wollten nur an die «Gefühle der Bevölkerung» appellieren, die aus sentimentalen Gründen an der D-Mark hinge. Den Stabilitätspakt hielt er für falsch («deutsche Großmannssucht!»), die Maastricht-Kriterien für weitgehend überflüssig. «Ich will einräumen: Auch mir scheint ein hohes Maß an Gleichlauf (‹Konvergenz›) der Volkswirtschaften der Teilnehmerstaaten wünschenswert», beschied er den damaligen Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer. «Aber für die Funktionstüchtigkeit des Euro ist die Konvergenz keineswegs nötig.» Tietmeyer hatte es gewagt, die Euro-Reife von Ländern wie Italien und Griechenland anzuzweifeln. Damit stellte er
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