Der schwarze Kanal
die Geschichte eingehen werden. Irgendwie ging es dann auch noch um die Soldaten in Afghanistan, den Hunger in Somalia und natürlich die Finanzkrise. Die darf ja im Augenblick nicht fehlen, wenn man sich kritisch äußert.
Was immer man von der RAF halten will: So einen Quark hat sie ihren Anhängern erspart. Aber auch Autonome sind Kinder ihrer Zeit. Inzwischen ermittelt ja schon der Staatsanwalt wegen fahrlässiger Körperverletzung, wenn im Sommer die Klimaanlage im Zug ausfällt. Kein Wunder also, dass heute im linksradikalen Lager eine reguläre 38-Stunden-Woche Grund genug ist, sich wieder mit dem Bau von Zeitzündern zu beschäftigen.
Große Hoffnung setzen jetzt alle, die den Aufstand herbeisehnen, auf den Anti-Banken-Protest – das soll der gerechten Sache endlich Auftrieb geben. Der Start war hierzulande nicht ganz so vielversprechend, wie sich die Organisatoren das gewünscht hatten. 5000 in Frankfurt, ein paar mehr oder weniger in Berlin beim Marsch auf das Kanzleramt. Aber dafür kann sich die Liste der Sympathisanten sehen lassen. Wie es scheint, hat sich auch in der Politik eine große Empörungskoalition gegen die Finanzwelt zusammengefunden, die von der bekannten Globalisierungskritikerin Gerda Hasselfeldt bis zum Grünen-Anführer Cem Özdemir reicht.
Ein Problem des linken Protests ist sein eklatanter Mangel an Originalität. Schon die Annahme, dass der Steuerzahler nun ein weiteres Mal für das verantwortungslose Treiben an den Finanzmärkten geradesteht, hält einer näheren Betrachtung kaum stand. An der aktuellen Krise sind nicht die Banken schuld – es sei denn, man will ihnen zum Vorwurf machen, dass sie sich über Jahre auf die Zusicherung der Politik verlassen haben, dass die von ihr in Umlauf gebrachten Staatsanleihen sicher sind. Nun ist zur großen Überraschung aller europäischen Institutionen doch der Schadensfall eingetreten, und weil es keine Aussicht gibt, dass die Verantwortlichen die von ihnen verschuldeten Probleme ohne Schuldenerlass in den Griff bekommen, sollen die Banken jetzt auf einen Teil ihrer rechtmäßig verbrieften Titel verzichten. Tatsächlich muss der Steuerzahler also deshalb Rettungsschirme über die Gläubiger spannen, weil seine Regierungen diesen gerade außerordentliche Ausfälle zumuten, aber so erklärt es ihm selbstverständlich niemand.
Man wäre fraglos mehr beeindruckt, wenn den Vorhaltungen zur Finanzindustrie eine Analyse vorausgehen würde, die einen Gedanken enthielte, der nicht schon bei jedem Anti-Globalisierungsgipfel rauf- und runtergebetet wurde. Aber alles, was sich in den Erklärungen zur aktuellen Krise findet, sind Grundsatzreden gegen den «Raubtierkapitalismus», also ziemlich genau das, was sich in zwei, drei Tagen ohne tiefere Kenntnis der Materie zusammenschreiben lässt. Das letzte Mal, dass die Linke in der Lage war, mit den Akteuren auf Augenhöhe zu debattieren, war beim Kampf gegen die Atomkraft; von der Mühe, die sich die Kritiker damals gemacht haben, zehrt die grüne Bewegung noch heute. Gegenüber der Finanzwirtschaft aber gründen die meisten Vorbehalte auf Ressentiment, nicht auf Überlegung. Das macht sie nicht notwendigerweise falsch, aber untauglich für die Arbeit an einer neuen Weltfinanzordnung, wie sie jetzt allenthalben angemahnt wird.
Immerhin, ein Fortschritt ist von der revolutionären Front zu vermelden: Die Zeichensetzung hat sich stark verbessert. Die Vorreiter des bewaffneten Kampfes standen bekanntlich nicht nur mit dem System, sondern auch mit dessen Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Das ist jetzt dank der Prüfprogramme, die jede Textverarbeitung automatisch anbietet, anders. Diesen Erfolg des Systems müssten eigentlich auch die Carpe-diem-Autonomen anerkennen.
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Rushhour des Lebens
Wie haben die Leute früher bloß ihre Kinder großgezogen? Ganz ohne Elterngeld, Betreuungsprämie und öffentliches Kita-Programm? Die Frage drängt sich auf angesichts des rastlosen Bemühens des Sozialstaats, das Los der Eltern zu verbessern und dem Land dadurch zu mehr Kindern zu verhelfen. Noch nie wurde so viel in die Familienpolitik investiert wie heute, doch es hat nicht den Anschein, als ob es den Müttern und Vätern in Deutschland deshalb besserginge oder sie glücklicher wären. Der letzte Bericht zur Lage der deutschen Familien kam wieder einmal zu einem erschütternden Befund. Viele fühlen sich von der Erziehungsarbeit überfordert, wie die Autoren herausgefunden haben: Mehr als
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