Der schwarze Kanal
hinbekam, die eigenen Millionäre an der Sanierung seines Landes zu beteiligen, dafür aber ständig mit dem Hut in der Hand in Europa herumlief, um neue Rettungsmilliarden einzusammeln? Mal wieder «Frankfurter Allgemeine» lesen, kann man da nur empfehlen: Dort lernt man nämlich, warum dem ehemaligen griechischen Premier in Wahrheit Dank und Respekt gebührt, und zwar von keinem Geringeren als Jürgen Habermas, dem letzten Schwerintellektuellen des besseren Deutschlands.
Glaubt man dem Starnberger Philosophen, dann sind wir schnurgerade auf dem Weg in die «Postdemokratie», also einer Staatsform, die irgendwo zwischen Parlamentarismus und Diktatur angesiedelt ist und in der schon die Ankündigung eines Wahlgangs einer Heldentat gleichkommt. Wo Habermas sich zu Wort meldet, wird in ganz hohe Regale gegriffen. Das war schon vor 25 Jahren so, als er im Historikerstreit die «politische Kultur des Westens» vor die Hunde gehen sah (und dabei nebenbei die Reputation von vier Kollegen ruinierte). Nun ist es eben der Finanzfaschismus, vor dem er uns bewahren will.
Natürlich lässt sich fragen, was von einem Referendum zu halten ist, das die entscheidende Frage nicht zur Abstimmung stellt, nämlich die nach Austritt oder Verbleib in der Währungsunion. Wie Papandreou erklärte, wollte er die Griechen nur über den in Brüssel ausgehandelten Sanierungsplan entscheiden lassen, was etwa das Gleiche ist, als ob man Hartz- IV -Empfänger über die Höhe des Regelsatzes abstimmen ließe. Mit der «Würde der Demokratie», die jetzt beschworen wird, hat so ein Verfahren wenig zu tun; eher mit der Art von Stimmenkauf, die in Griechenland seit langem Praxis ist.
Wir sind in die Phase eingetreten, wo die Positionen für die politischen Verteilungskämpfe der Zukunft abgesteckt werden. Wie aus jeder Krise lässt sich auch aus dieser Kapital schlagen, man muss nur aufpassen, dass die Leute die richtigen Lehren ziehen. Derzeit gibt es zwei konkurrierende Deutungen, was eigentlich passiert ist: Auf der einen Seite steht die nüchterne Analyse der wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die zu der Vertrauenskrise in Europa führten, auf der anderen der Aufschrei des Herzens, der die gegenwärtige Auseinandersetzung in den Begriffen eines ideologischen Endkampfs beschreibt.
Habermas gehört, entgegen seinem Ruf als kühler Großdenker, eindeutig ins Lager der apokalyptisch gestimmten Hysteriker. In seiner Erzählung von der Euro-Krise ist die Politik längst unter die Räder der Ökonomie geraten. Statt sich um den sozialen Ausgleich zu kümmern, besorgen die demokratischen Akteure das Geschäft der Märkte. Sie sind Getriebene oder, wie die deutsche Kanzlerin, willige Erfüllungsgehilfen des «verwilderten Finanzkapitalismus», der nur am kurzfristigen Wohl der Aktionäre interessiert ist und demokratische Legitimationsprozesse für überflüssig hält. Finis Europae.
Man muss den Mut bewundern für eine solch tollkühne Umkehrung der Tatsachen. Der Ruin Griechenlands ist ja nicht die Folge wilder Finanzspekulationen, wie sich leicht nachweisen lässt, sondern der Endpunkt einer hemmungslosen Schuldenpolitik, die darauf setzte, dass am Ende schon andere für die Wechsel geradestehen würden, die man in Athen ausstellte. Aber darum geht es in Wahrheit auch nicht. Niemand denkt ernsthaft daran, den Banken Quoten für Staatsanleihen vorzuschreiben oder die Zinssätze zentral steuern zu lassen. Wie sollte das funktionieren? Was konkrete Forderungen betrifft, geht es Habermas wie den Occupy-Wall-Street-Aktivisten, denen ja ebenfalls nicht viel mehr einfällt außer der vagen Idee, dass nun das Geld irgendwie neu umverteilt werden müsse.
Tatsächlich zielt der ganze rhetorische Aufwand darauf ab, die Politik von ihrer Verantwortung freizusprechen, um für eine Fortsetzung der Politik der Bequemlichkeit freie Hand zu haben. Aus Wachstum wird sich der Erhalt des Sozialstaats nicht finanzieren lassen, geschweige denn sein weiterer Ausbau; das hat schon in der Vergangenheit nicht funktioniert. Es bleibt nur der Weg über die Geldaufnahme, und deshalb ist jetzt jeder ein Feind, der diesen Weg schwieriger macht: die Rating-Agenturen, die mit Blick auf die Ausfallrisiken die Zinsen hochtreiben; die Banken natürlich, die nach dem Sündenfall in Griechenland nicht mehr so einfach das Geld ihrer Kunden ausreichen; die Händler an den Devisenmärkten, die darauf setzen, dass die europäischen Staaten ihre Schuldenprobleme nicht wirklich in den
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