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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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Stahlnadel. Auch sie würde stark sein müssen.
    Viele Minuten später gelang es ihr endlich, die klaffende Wunde an den Stellen, wo der Pfeil ein- und ausgetreten war, mit Pferdehaar und einer dünnen Nadel zuzunähen und einen Wickel aus ausgekochten Heilkräutern aufzulegen. Dann verband sie ihm die Brust mit dünnen leinenen Binden.
    Plötzlich ließ sie ein eiserner Griff um ihr Handgelenk vor Schreck und Schmerz aufschreien.
    Attila richtete sich auf. «Versuche nicht, mich zu vergiften, Weib. Es wird dir nicht gelingen. Ich werde leben, trotz deines Gifts. Und ich werde dich töten.»
    Sie hatte keinen Zweifel daran.
    Mit oder ohne Gift, der König wurde immer schwächer. Der Pfeil war tief eingedrungen, und das Herausziehen hatte neben den Schmerzen einen großen Blutverlust verursacht. Vielleicht war die Wunde infiziert. Noch war sie nicht übelriechend, was bedeutete, dass die Götter diesem Mann noch nicht den Tod bestimmt hatten. Doch er kämpfte schwer. Sein Gesicht war bleich, und dann bemächtigte sich seiner das Fieber.
    Die Pflegerin bekämpfte das Fieber, so gut sie konnte. Sie hüllte ihn in dicke Schaffelle, bis sein Gesicht ganz blutleer und bleich war und vor Schweiß triefte wie Eis, das in der Sonne schmilzt. Sie gab ihm nur das frischeste, süßeste Wasserdirekt aus dem Fluss zu trinken, das sie jeden Morgen in der Dämmerung nahe der Quelle schöpfte.
    Doch noch immer wütete das Fieber, und zuweilen phantasierte er. Geheimnisvolle, schreckliche Worte, Verse, die wie Prophezeiungen der Apokalypse klangen. Er zeterte, dann murmelte er von einem König des Schreckens, vom Fall brennender Städte, einem großen Löwen, einem Adler und einem struppigen, buckligen Untier, die sein Königreich heimsuchen und Rache an ihm üben würden für zwölf lange Generationen der Sünde. Die Frau wischte ihm die Stirn ab, gab ihm zu trinken und bemitleidete ihn wegen seiner Albträume.
    ***
    Kleiner Vogel kam ihn besuchen, sein König konnte ihn kaum erkennen.
    «Es ist Gift im Spiel», sagte er, «doch kam es nicht von der Hand der Frau.» Er würgte ein wenig und spuckte aus. «Wo warst du in der Schlacht? Ich hatte dich vergessen.»
    «Wo ich war?», fragte Kleiner Vogel. «Am Überleben. Dort war ich!»
    Attila gelang es beinahe zu lächeln. Er sah zu Kleiner Vogel hinüber und erblickte einen alten Mann mit traurigem, müdem Gesicht. Er vergaß immer, wie alt der Schamane bereits war, er schien so alterslos. Jetzt aber nicht.
    Er streckte die Hand aus, und Kleiner Vogel nahm sie, wie ein Sohn, der nach der Hand seines Vaters auf dem Totenbett greift. Die dicken, sich schlängelnden Venen waren flach und kaum zu sehen, als wäre kein Blut mehr darin. Als Kleiner Vogel zu sprechen begann, klang seine Stimme hell und sorglos wie immer, so widersprüchlich war er nun einmal.
    Er habe erfahren, dass Himmel-in-Fetzen einer der Söhne des alten Häuptlings Rotkropf sei, sagte er.
    «Der Älteste?»
    Kleiner Vogel schüttelte den Kopf. «Aber der Älteste, der noch am Leben ist.» Seine Augen funkelten. «Er ist nicht der einzige große Häuptling, der seinen Vater getötet hat. Das habe ich zumindest gehört.»
    «Friede, kleiner Vogel», krächzte der sterbende König. Er wirkte wie ein sehr, sehr alter Mann. Kleiner Vogel ließ nicht ab von seinen grausamen Spitzen und pointierten Späßen, doch selbst während er so witzelte, hielt er den Kopf gesenkt und wischte sich die Tränen ab, weil er seinen König so geschwächt sah. Er schien an der Schwelle des Todes auf seiner Bahre aus Schaffell, mit rasselndem Atem, die Brust gewölbt, der Brustkorb ächzte, während sich seine Lunge, seine Adern, sein unbesiegbarer stählerner Körper mit Gift und Verfall füllten. Bald würde der Tod die Tür öffnen, und graue, staubbedeckte Hände würden nach ihm greifen. Die Tür würde sich wieder schließen, und er wäre für immer dahingegangen. Als wäre die Sonne plötzlich wie eine Kerze am Himmel ausgeblasen, hätte Kleiner Vogel auch keinen Grund mehr gehabt weiterzuleben. Denn nie wieder würde er solch einen Tanjou sehen, und er würde den Rest seiner Tage im Schatten leben.
    Wolken ballten sich zusammen. Die sonnige Fläche auf dem Boden des Zeltes wurde kleiner und dunkler.
    Auch Orestes saß Tag und Nacht bei seinem Herrn und schien kaum zu schlafen. Manchmal schrie Attila auf, erstickte beinahe, Auswurf trat aus seinen infizierten Lungen.
    Jeden, der sich zu nähern wagte, vertrieb Orestes laut schimpfend.

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