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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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Lippen äußerst schmal. Wie alt sie war, ließ sich nicht sagen. Sie hatte einen sehr dunklen Teint, ihre Haut war wie Honig, doch nicht wie der süße, hellfarbige Honig von Hymettos, sondern dunkel wie Kastanienhonig. Im Feuerschein schimmerte er matt. Ihre Augen aber waren stahlblau, sie hatten die Farbe von Eis im schräg einfallenden Winterlicht. Alles an ihr war unheimlich und irgendwie verkehrt, selbst Orestes war sie nicht geheuer. Seine große Menschenkenntnis hatte ihn im Lauf der Jahre vieles gelehrt, jetzt warnte sie ihn, dass dies hier kein normaler Besuch war.
    Es war nicht einmal möglich, ihre Herkunft zu bestimmen.Und obwohl sie eine Frau war, hatte sie nichts Liebenswürdiges an sich, ihre flache, knochige Brust schien ungeeignet für Mutterfreuden.
    Um den Hals trug sie eine gewundene Schlangenhaut, ebenso wie um ihre skelettartigen Handgelenke und Arme, hier zu Armreifen gerollt. Die Schuppen der abgestreiften Häute hafteten ihr hier und da am Körper und schimmerten matt. Im Zwielicht oder nachts im sanften Feuerschein zwischen den Zelten sah es manchmal aus, als wäre ihre eigene Haut ebenso schuppig wie die ihrer geliebten Schlangen. In einem ledernen Beutel um ihren Bauch trug sie zwei lebende Schlangen, die äußerst giftig waren. Ab und zu nahm sie sie heraus und spielte mit ihnen, sie streichelte ihre sich ringelnden Leiber, drückte sie an ihre eingefallenen Wangen und raunte ihnen Liebkosungen zu wie ein Kind einem Kätzchen. Sie starrten sie mit ihren unbeweglichen Glasaugen an und züngelten dabei – niemand näherte sich Enkhtuya, wenn sie diese Schlangen in der Hand hielt. Vielleicht bissen sie sie nie. Einige aber meinten, sie hätten sie wohl nur zu oft gebissen, denn man kann einer Schlange ebenso wenig beibringen, nicht zu beißen, wie einem Hund, nicht zu bellen. Enkhtuya, sagte man, stehe eben unter dem Schutz der Mondgöttin und sei immun gegen das Schlangengift.
    Andere waren weniger immun: die Gefangenen, die von den Kutriguren zuweilen auf Pfähle am Ausgang des Lagers gespießt wurden, und auch die Verwundeten und Sterbenden, die stöhnend auf dem Schlachtfeld lagen. Man sah Enkhtuya oft wie einen Engel des Todes umhergehen, die geliebten Schlangen in der Hand haltend. Wie eine sanfte Krankenpflegerin kniete sie neben den Sterbenden nieder und hielt die Schlangen über sie, als verfügten sie über Heilkräfte. Um sie zu reizen, drückte sie auf einen Punkt direkthinter den Ohren, und hielt dann die Schlange vor die Lippen des jeweiligen Kriegers eines fremden Stammes – der teuflische Schatten einer Heilerin, die an der Seite eines Kranken niederkniete, um ihm Wasser zu trinken zu geben. Ihre Augen funkelten vor Begeisterung, wenn sie zusah, wie die Schlange immer näher auf den Mann zukam, der bei dem Versuch, vor dieser albtraumhaften Erscheinung zu fliehen, hilflos im Sand scharrte, vielleicht mit dem Stumpf eines versehrten Armes. Schließlich setzte sie die Schlange direkt auf das Gesicht des Mannes und lächelte, während diese ihre Fänge in seine Lippen, seine Wangen, seine Augen grub.
    Enkhtuya war tatsächlich eine Zauberin, sie konnte sowohl Schaden zufügen als auch heilen.
    Nun kniete sie auf der Seite eines weiteren sterbenden Mannes nieder. Sie sagte kein einziges Wort, wie jeder König wusste sie genau, dass Schweigen Macht bedeutet. Orestes aber drohte ihr: «Ich sehe alles, was du machst.»
    Sie drehte sich um und betrachtete ihn mit ihren eisblauen Augen, und da fühlte selbst Orestes einen Schauder in seiner Seele. Dann nickte sie. Sie verstand ihn. Sie ging behutsam zu Werk.
    Sie holte einen kleinen Tiegel mit einer faulig-scharf riechenden Mischung aus Honig, Salz, Hammelfett und den Säften gewisser Steppenblumen hervor und stopfte dem widerstrebenden Attila diese giftige Paste in den Mund. Kurz darauf begann er zu würgen und hörte nicht mehr auf damit.
    «Ich sehe alles, was du machst!», wiederholte Orestes.
    Sie ließ nicht ab von ihrem Werk.
    Als der sterbende König noch immer an der fauligen Paste würgte, senkte sie den Kopf und legte das Ohr auf seine Brust. An der rechten Seite, dort, wo der Pfeil eingedrungenwar, lauschte sie ganz besonders lange: ein gedehntes, unheimliches Rasseln.
    Sie richtete sich wieder auf, steckte die Hand in ihr Gewand und zog ein langes dünnes Messer heraus. Sie beugte sich wieder über den König, der kaum noch bei Bewusstsein war, und schien wie ein Tier zu schnüffeln. Dann schlitzte sie seine Verbände

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