Der schwarze Krieger
genoss und gegen den kein Reich Bestand hatte. Einige dieser Verbände zählten nicht mehr als ein Dutzend Männer, andere mehrere Hundert, und das Frühlingsgras konnte gar nicht schnell genug wachsen, um die vielen tausend Pferdemäuler zu füttern. Pferde, Waffen und Waren wurden freundschaftlich getauscht, Heiraten wurden geschlossen, und selbst die abgehärtetsten Männer murrten bei dem Lärm, den all die plärrenden Neugeborenen nachts in ihren Zelten machten. Auf diese Weise wuchs das Volk stetig an, durch den wachsenden Ruhm und die steigendeZahl der Verbündeten, aber auch durch die Bindungen untereinander.
Jede Volksgruppe bildete ihr eigenes Regiment, übernahm aber Attilas Disziplin und ließ sich von ihm und seinen Auserwählten Befehle erteilen. Wenn sie nicht militärisch übten, spielten sie die wilden Wettspiele der Steppenvölker. Sie lasen in vollem Galopp kleine Goldringe vom Boden auf oder veranstalteten verrückte Ringkämpfe zwischen zwei Seite an Seite im Galopp reitenden Männern. Sie versuchten, reitend jungen Frauen einen Kuss und noch intimere Berührungen zu rauben, während die Frauen, mit langen Peitschen bewaffnet, gnadenlos auf ihre Verfolger eindroschen. Die Peitschenhiebe ihrer Zungen waren noch gefährlicher.
Dann war es Zeit, ein letztes Mal die Zelte abzubrechen und die lange Reise nach Westen anzutreten. Die ersten Anzeichen für den Frühling tauchten schon überall auf, Pferde und Vieh weideten nach Herzenslust. Früher Klee und Wicken, Esparsetten, Ackerspark und schlanker Blaustrahlhafer färbten die langsam wärmer werdenden Ebenen.
«Nach Rom!», schrie Attila und riss sein Schwert in die Höhe. «Bis an die Ufer des Atlantiks!» Seine Tausende von Kriegern stimmten in seinen Kriegsruf ein, obwohl die meisten gar nicht wussten, was mit «Atlantik» gemeint war – allein das Wort klang so großartig.
Kleiner Vogel lenkte sein Pony nahe an das des Königs heran. Er hatte nicht mit den anderen gejubelt, sondern stieß nur einen ketzerischen Seufzer inmitten dieses kriegerischen Gejohles aus. «Ach, ich hätte doch gerne China gesehen, mein Vater», klagte er. «Bevor ich sterbe.»
«Du wirst China sehen», sagte Attila und riss an seinen Zügeln. Seine Stimme klang kräftig, die von Kleiner Vogel aber leise und melancholisch.
«Nur im Traum», sagte er. «Im Traum stieg ich auf den Gipfel eines hohen Hügels, von dem aus ich ganz China überblickte.» Er sprach jetzt in seinem rhythmischen Singsang, als würde er ein Gedicht rezitieren. «Die hängenden Gärten des kaiserlichen Sommerpalastes, das fröhliche Plätschern der jadegrünen Bäche, die zart schimmernden Vogelmädchen in ihren silbrigen und goldenen Blattgewändern.»
Er hielt inne und sah Attila an.
Attila erwiderte nichts auf Kleiner Vogels unheimliche Worte, die so tief und seltsam, voller trüber Vorahnungen waren.
Die Augen des Schamanen waren silberne Teiche, undurchdringlich.
Ach, doch China ist groß,
Nie wirst du es ganz erschau’n .
Die Berge sind hoch, der Kaiser weit entfernt.
Der Kaiser ist entrückt, für immer.
15.
Heimkehr
Die große Armee machte einen Bogen nach Norden. Als die Tage länger wurden und schließlich Tag- und Nachtgleiche herrschte, gelangten sie an den Rand der nördlichen Wälder, wo das Frühlingsgras saftig und grün war. Von hier aus zogen sie nach Westen weiter. In den schattigen Senken hatten sich Schneereste gehalten, doch solche Gegenden des Übergangs von Wald und Steppe waren gute Jagdgebiete, ebenso wie die zwischen Land und See.
Zuweilen, wenn die Sonne schon tief stand, kam es ihnen vor, als sei der Herbst in all seiner Pracht zurückgekehrt, die Äste leuchteten dann wie gelbes Feuer im sich auflösenden Dunst. Manchmal schnappte sogar noch der Winter nach ihnen. Der König befahl ihnen, bis tief in die Nacht weiterzuziehen, auch wenn die Kinder schon erschöpft waren und auf den Wagen schliefen. Ab und zu machten sie kleine Schlenker in Richtung Norden, um Furten über die breiten Flüsse des Landes zu finden. Sie ritten durch den mitternächtlichen Wald, eingesunken in den Schnee, Wölfe auf ihrer Spur. Dunkle Schatten zwischen den Kiefern, ein unheimliches Heulen echote unter dem sternenfunkelnden Himmel hin und her. Hinter den Wölfen schoben sich andere Gestalten durch den Wald, sahen zu ihnen herüber und streiften an den hohen Föhren vorbei wie ein Mann, der durchs Gras stapft. Riesige, namenlose Wesen, viel stärker als der stärkste Wolf,
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