Der schwarze Krieger
Feindschaft zwischen unserem Volk und diesen Steppendämonen ist uralt.»
Theoderich strich sich den langen weißen Bart, der noch immer gelb gesträhnt war. «Aber den Hunnen Feind zu sein bedeutet nicht notwendigerweise Freundschaft mit den Römern. Mein Volk erinnert sich noch daran, wie wir von den Römern behandelt wurden, als wir mittellose Einwandererwaren und man uns schmählich unserer Würde beraubt hatte.»
Ruhig entgegnete Aëtius: «Rom ist nicht frei von Unrecht. Keine Stadt und kein Reich, keine Zivilisation und kein Volk ist makellos. Nicht einmal die edlen Visigoten.»
Theoderich brummte. «Die Hunnen haben gegen die Goten unter Athanarich gekämpft.
Ymb Wistlawudu, heardum sweordum
: In den Wäldern der Weichsel, mit harten Schwertern. Dieser Tag der Trauer lebt noch in den Balladen des Volkes fort. Im Mondlicht überquerten die Hunnen die Weichsel ein Stück stromaufwärts und fielen über unsere Flanke her wie die Wölfe. Und die Reiter, die an diesem Tage starben, waren zahlreich.
Die Liebenden und die Tänzer, man schlug sie nieder zur Erde,
Wo waren die Hünen, die Krieger mit den Schwertern und zu Pferde?
Und dort ein alter Bettler, er streift umher voll Stolz –
Seine Väter dienten den ihren, eh sie Christus schlugen ans Holz.»
Aëtius lauschte geduldig. Selbstverständlich kannte er jedes Detail der Geschichte. Es war eine alte gotische Tradition, die Balladen immer wieder zu rezitieren, bis sie durch Wiederholung heilig geworden waren. Außerdem war es angenehm, in diesem sonnenwarmen Innenhof zu sitzen, diesem kleinen Hafen des Friedens, und den Reden des alten Königs zuzuhören, selbst wenn die Geschichte, die er erzählte, dem Namen Roms nicht zur Ehre gereichte. Der Aufschub würde nicht lange währen.
«Drei Generationen liegt das zurück», sinnierte Theoderich. «Athanarich und sein Volk flohen nach Süden, obgleichsie ein tapferes Volk waren, daran besteht kein Zweifel.»
«Ich zweifle nicht daran», erwiderte Aëtius. Er hatte die Goten kämpfen sehen.
«Sie flohen nach Süden über die Karpaten an die Ufer der Donau. Sie streckten die Hände hilfesuchend nach Rom aus, und der Kaiser jener Tage, Kaiser Valens, zeigte Verständnis. Vorbereitungen wurden getroffen, dass viele Tausende von uns ins Reich kommen konnten. Dann aber verlangten die Römer, dass wir unsere Waffen aushändigten, unsere Schwerter. Sobald wir waffenlos waren, verlangten sie Zahlungen. Eure Grenzherren und die Offiziere eures raffgierigen Staates, wie sie das Gold doch liebten!»
Aëtius hielt dem Adlerblick des alten Königs stand.
«Die Edelsten aus dem Volk, sogar die Wolfskrieger der Visigoten in ihren roten Umhängen hielt man mit vorgehaltener Klinge gefangen. Man feilschte um sie, wie Vieh wurden sie ausgetauscht. Trotzdem erlaubte man ihnen nicht, die Donau zu überqueren. Es kamen noch mehr, Flüchtlinge aus dem Norden und dem Osten. Man ermunterte sie, ihre Hunde zu verkaufen, ihre Frauen und Kinder gar, wie man sich erzählt, um damit ihren Einlass in das ersehnte Reich zu bezahlen. Sie litten Hunger und Not. Die Bäuche ihrer Kinder hingen schlaff herunter wie die von alten Männern und Frauen. Ihre Wangenknochen stachen aus den jungen Gesichtern hervor. Sie vergossen Tränen.
Habt ihr den Rufen Gehör geschenkt? Auch wenn sie nicht aus eurem Stamm waren, so handelte es sich doch um menschliche Rufe. Sie waren eure Mitmenschen: Ihre Kinder hungerten und litten wie eure Kinder. Nahmt ihr sie auf? Das tatet ihr nicht. Aus dem Inneren der Mauern eures befestigten Europas saht ihr hinüber auf die jämmerlichen Flüchtlingeaus der jenseitigen Finsternis. Und ihr saht nur … was? Feinde? Dämonen? Gefahr? Eine Gefahr, so schwach, dass sie kaum laufen konnte. Was ist das für eine Gefahr? Alle Menschen werden Brüder sein. Das ist eine alte gotische Redensart, und es ist, was Christus lehrte. ‹Werden Brüder sein› – man beachte die Zukunftsform. Es ist ein Gebet, eine Hoffnung, vielleicht eine Prophezeiung. Es ist gewiss keine Beschreibung der Lage, wie sie ist.»
Theoderich nahm einen Schluck Wein. «Schließlich wurde mein Volk in die Verzweiflung gestoßen und dann in den Krieg. Es brachte sich wieder in den Besitz seiner Schwerter und seiner Pferde und floh. Später, in Adrianopel im Jahr 378, entsandte euer Rom eine Strafexpedition gegen uns, um ein hungerndes und misshandeltes Volk zu züchtigen, das es gewagt hatte, gegen Roms Unmenschlichkeit aufzubegehren. Unsere
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