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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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junger Ranken beschattet war, am Hof der Visigoten in Tolosa, im sonnenwarmen südlichen Gallien.
    Wie elegant doch der Hof der Visigoten unter dem großen, alten Theoderich geworden war! Was für Preislieder verfasste man darauf! Hier schienen all die alten römischen Tugenden vereint zu sein und all die neuen Laster Roms ausgeschlossen. Viele schauten mit einer Art Sehnsucht oder sogar mit großen Erwartungen auf das neue Königreich, als erblickten sie in Theoderichs Reich und in seinen sechs stolzen Söhnen – den «Söhnen des Donners», wie man sie im Scherz nannte – die Zukunft Europas: eine zugleich gallische und barbarische, christliche und römische Zukunft. Theoderich und seine Söhne schlugen sich mannhaft im Krieg, sie beherrschten die römische Geschichte und Rechtslehre, und sie sprachen Latein, sogar ein wenig Griechisch und natürlich Gotisch. Sie kannten ihren Vergil gut genug, um ihn angemessen zu zitieren, wenn die Gelegenheit es verlangte, und hatten einen derart leichten Akzent, dass nur der pingeligste Lateiner sich über den Klang beschwert hätte.
    Hier an diesem Hofe vermeintlicher Barbaren, so schrieb ein Bewunderer, der schöngeistige Sidonius Apollinaris, Bischof von Clermont, hier finde man zwar kein schweres undverfärbtes altes Silber, dafür aber Gewicht und Reichtum in der Konversation. Lebensmittel, die man ansprechend zubereitete, nicht kostspielig oder mit Prunksucht. Kelche, die von stummen Sklaven derart umsichtig aufgefüllt wurden, dass sowohl Trunkenheit als auch Durst unbekannt waren. Griechische Eleganz, gallische Fülle, italienische Lebendigkeit gab es hier. Niemand musste die Würde des Staates, die Geborgenheit eines Zuhauses und die nötige Strenge eines Herrschers vermissen.
    Und dort saß mit grauem Haupthaar und Bart der große, alte Theoderich, der König der Westgoten, Sohn Alarichs, des Eroberers von Rom, und brütete finster über dem Schachbrett. Wenn Sidonius gegen ihn Schach spielte, hieß es, achtete der Bischof darauf, dass er gegen den hitzigen König verlor. Doch Theoderichs heutiger Gegner war von anderem Schlag. Es war ein schlanker, grauäuiger Mann, etwa fünfzig Jahre alt, ein Römer von adliger Geburt und ehrwürdiger Abstammung, zurzeit als Gast am visigotischen Hof. Gewisse Spannungen hatten sich zwischen ihm und der kaiserlichen Familie ergeben, Eifersüchteleien und Verunsicherungen, deren Details den alten König Theoderich weit mehr amüsierten als den Römer.
    Der ergraute gotische König klopfte seinem helläugigen Gast herzlich auf den Rücken und versicherte ihm, dass er in Tolosa willkommen sei, immer und zu jeder Zeit. Warum eigentlich nicht für immer? Er solle das sinkende Schiff Rom endgültig verlassen, abspringen, solange es noch möglich sei.
    Das aber war nicht die Art des Römers. Sein Name war Gaius Flavius Aëtius. Und er war fest entschlossen, nicht nur diese Schachpartie zu gewinnen.
    Nicht dass er den ruppigen alten König nicht überausschätzte. Oft in einem belustigenden Grade mürrisch und verdrießlich, erwies er sich seinen Untertanen gegenüber als äußerst gerecht, wofür er von ihnen verehrt wurde. Obwohl er ein Riese und stark wie ein Ochse war, beklagte er sich jeden Tag bitterlich über die Übel des fortschreitenden Alters und seine schwindende Körperkraft. Von seiner Familie erntete er dafür nur schiefe Blicke und hochgezogene Augenbrauen, besonders von seiner Frau Amalfrida, die ihn nach vierzig Ehejahren gut genug kannte. Wenn er beim Abendessen saß, sich lautstark unterhielt, bevor er die Zähne in den dritten gebratenen Vogel des Abends hieb und schon den zwölften Becher provenzalischen Wein ohne das geringste Anzeichen eines Rausches hinunterstürzte, fiel es in der Tat schwer, sein Gejammer über nachlassende Stärke allzu ernst zu nehmen. Irgendwann während des Abendessens am Vortag hatte sich Theoderich zu Aëtius hinübergelehnt und mit dem Kinn den Tisch hinab auf zwei besonders hübsche junge gotische Mädchen gewiesen, die vor kurzem als Kammerfrauen an den Hof gekommen waren. Er hatte gemurmelt: «Seltsam, wie ich immer gleich bleibe, während die Mädchen jedes Jahr jünger und hübscher werden.»
    So ein Mann also war König Theoderich: schnell in Rage, großzügig im Verzeihen, lüstern, gewaltig, ein wenig schwerhörig. Gerecht, leidenschaftlich, überraschend empfindsam bei Kleinigkeiten, etwa verletzten Tieren; ein Liebhaber von Hunden und Pferden, aber ebenso von guttrainierten

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