Der schwarze Krieger
dies nun einmal bei Soldaten der Fall ist, Jahr um Jahr stolzer, als sie ihre Kräfte wachsen spürte.
Der General hielt jedoch nicht an allen Gebräuchen der Vergangenheit fest. Mussten eine aufrührerische Stadt oder ein Stamm bestraft werden, so rückte er von der römischen Sitte ab, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind dieses Stammes zu erschlagen, jede Kuh, Ziege, Katze, jeden Hund. «Der Untergang Karthagos», pflegte er lakonisch anzumerken, «fand vor der Zeit Christi statt.» Er begnügte sich damit, alle Männer in wehrfähigem Alter zu töten und den Rest zu Sklaven zu machen. Seine Gnade gegenüber Roms Feinden wurde sprichwörtlich.
Er war ein Mann weniger Worte, rascher Handlungen und tiefer Leidenschaften. Sein ganzes Tun galt Rom.
Doch dann kam eine Frau ins Spiel.
Obwohl sie drei Jahre älter und zweifache Witwe war, hielten es die Beobachter bei Hofe für ausgemacht, dass Galla sich nicht nur von Aëtius’ kriegerischem Ruhm und der für sein Alter ungewöhnlichen Ruhe und Autorität angezogen fühlte. Es machten keine zweideutigen Anspielungen in Bezug auf Galla und den jungen General die Runde, doch es war amüsant zu beobachten, wie oft Galla es für notwendig zu halten schien, Aëtius in ihre privaten Gemächer zu bestellen, und wie oft sie seine Anwesenheit bei kaiserlichen Zusammenkünften anordnete.
Er fand diese entsetzlich langweilig.
Bei der Verkündung eines neuen kaiserlichen Dekrets musste der gesamte Hofstaat aufstehen und ausrufen: «Wir danken Euch für diesen Beschluss!» Dreiundzwanzigmal hintereinander.
Und dann, mit einer Stimme: «Ihr habt die Zweideutigkeiten der kaiserlichen Verfassung getilgt!», auch dies dreiundzwanzigmal hintereinander.
Schließlich: «Lasst zahlreiche Exemplare dieses Beschlusses in die Amtsstuben der Provinzregierungen gelangen!» Nur dreizehn Wiederholungen.
Aëtius konnte seine Verachtung für derlei Absurditäten kaum verhehlen. Doch er tat seine Pflicht, wie immer, und wiederholte die verabredeten Mantras zusammen mit den anderen Hofleuten.
***
Auch bei abendlichen Festlichkeiten plauderte Galla, mehr als notwendig gewesen wäre, ausgiebig mit Aëtius. Manchmal vernachlässigte sie sogar ihre Gäste seinetwegen. Dass sie ihrem General eine solche Wertschätzung entgegenbrachte, überraschte niemanden. Vielen Frauen bei Hofe erging es ebenso. Aëtius vereinte eine seltene Mischung aus Aufrichtigkeit, Mut, einem reifen Aussehen, natürlicher Anmut und einer gewissen heimlichen Melancholie. All das machte ihn unwiderstehlich. Es war, so sagten sie, als komme er aus einer anderen Epoche. Er hätte zu Zeiten der standhaften und schlichten Alten Republik leben sollen.
Was Aëtius für Galla empfand, wusste niemand. Wie viele Männer von tiefer, leidenschaftlicher Natur verbarg auch er die Macht seiner Gefühle hinter einem Wall aus Höflichkeit und Distanz; nur oberflächliche Menschen erheben ständig die Stimme, im Streit oder um sich zu beschweren. Ohne Zweifel zog Aëtius Gallas Gesellschaft den ewig gleichen Riten bei Hofe vor – allerdings liebte er das Feldlager und das Schlachtfeld noch mehr. Es schien jedoch unwahrscheinlich,dass er darüber hinausgehende Gefühle für sie hegte. Ein ehrgeizigerer Mann, der nicht so streng an seinen Prinzipien festhielt, hätte Galla geheiratet, unabhängig von seinen Gefühlen. Auf diese Weise hätte er leicht der nächste Kaiser werden können. Nicht so Aëtius. Er verhielt sich ihr gegenüber zutiefst loyal. Doch auch nicht mehr als das.
Mit der Zeit wurde ihre Beziehung komplizierter. Vielleicht, weil Galla dem General insgeheim Vorwürfe machte, dass er sie wegen seiner Prinzipientreue als Frau nicht genügend würdigte? Ihre Beziehung zueinander war stets eng, aber nicht immer unbeschwert. Manchmal von Koketterie geprägt, manchmal von Spannungen und Missverständnissen, zuweilen sogar von unüberbrückbaren Gegensätzen.
Honorius schien allmählich auf den General eifersüchtig zu werden. Bei einer Gelegenheit musste Aëtius den römischen Hof sogar fluchtartig verlassen und Italien den Rücken kehren; Gerüchte waren laut geworden, Honorius plane seine Ermordung.
Bei seiner Rückkehr ließ sich nicht mehr übersehen, dass Honorius seiner Schwester über das erträgliche Maß hinaus zugetan war. Alle Höflinge grüßten einander mit einem Kuss auf die Lippen, Männer und Frauen, Jung und Alt, Freunde und Verwandte. Doch die Art, wie Honorius seine Schwester küsste, am Morgen, am
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