Der schwarze Krieger
stolz. Nun mussten beide sich geschlagen geben.
Nachdem sie sich geküsst hatten, wichen sie zurück und schauten einander lange an. Sie sagten nichts. Minuten vergingen. Keiner von ihnen rührte sich. Keiner von ihnen war fähig, sich zu rühren.
Am nächsten Tag verließen sie die Stadt im Morgengrauen und begaben sich auf die lange Reise hinunter an die Küste. Sie ritten in großem Abstand voneinander, die Köpfe gesenkt und schweigend, wie zwei Menschen, denen man vor kurzem etwas genommen hatte.
***
Galla wusste sofort Bescheid. Gleich als sie zurückkehrten, wusste Galla mit ihren stechenden Augen alles.
Vielleicht hatten die Ehe und das, was sie erlitten hatte, Galla milde gestimmt. Auch die Mutterschaft hatte bestimmt dazu beigetragen. Der Schwäche anderer begegnete sie nun eher mit Mitleid als mit Verachtung wie zuvor. Sie sah diese lebendige Agonie vor ihren Augen: Athenais und Aëtius, die so große Sehnsucht nacheinander hatten und es doch von sich wiesen und sich der Grausamkeit der Umstände und den starren Ritualen und Formalitäten bei Hofe beugen mussten. Ihre Reaktion war die einer Frau, die selbst ein wenig in einen Mann verliebt ist, der eine andere liebt: ein trauriges Lächeln und dann Schweigen.
Vielleicht erkannte sie bereits, dass sie und Aëtius etwas gemeinsam hatten, was sie immer begleiten würde: Alle beide liebten sie jemand anderen, und keiner von ihnen würde diesen anderen Menschen je besitzen.
Zwischen Galla und Athenais gab es wider Erwarten weder Groll noch Gehässigkeit oder gar Schlimmeres. Und zwischen Pulcheria, der dünnlippigen Schwester des Kaisers, und Galla herrschte so viel Wärme, wie sie eine ewige Jungfrau eben für einen anderen Menschen aus Fleisch und Blut aufbringen konnte. Was Pulcheria für Athenais empfand, waren unweigerlich verzehrende Eifersucht und Ablehnung, die unter dem Deckmantel frommer Distanz daherkamen. (Prüde Menschen werden von Eifersucht angetrieben, nicht von Moral. Wer etwas tun kann, tut es auch. Wem es verwehrt ist, dem bleibt das Predigen.) Doch die kühle, grünäugige Galla erkannte wohl, dass Athenais’ Gefühle für Aëtius nur ihre eigenen Empfindungen widerspiegelten. Vielleicht. Was auch immer ihre Beweggründe waren: Stets behandelte sie die junge Kaiserin überaus freundlich.
Dann, am 26. Tag des August 423, kam ein Bote mit den schockierenden Nachrichten aus Rom. Kaiser Honorius war an der Wassersucht gestorben, und ein Usurpator, Johannes, hatte sich an die Spitze einiger Legionen in Illyrien gesetzt und sich selbst zum neuen Kaiser des Weströmischen Reiches erklärt.
Aëtius schien erleichtert, endlich wieder fortzukommen. «Die Feinde Roms werden auch nicht weniger», bemerkte er trocken. «Jetzt heißt es wieder einmal kämpfen.»
11.
Die Barbarenküste steht in Flammen
Als Zeichen der öffentlichen Trauer über den Tod von Honorius blieben die Läden Konstantinopels sieben Tage lang geschlossen. Theodosius, der neue Kaiser, ließ sogar die Pferderennen untersagen, was beinahe zu einem Aufstand geführt hätte.
Galla kehrte schließlich zusammen mit Aëtius nach Rom zurück, wo ihr Sohn im Alter von vier Jahren zum Kaiser Westroms gekrönt wurde.
Bereits in jungen Jahren zeigte sich, dass Valentinian eher seinem Onkel als seinem Vater nachgeriet – ein beklagenswertes Erbe. Er war faul, gefräßig, kindisch, launisch und grausam. Galla selbst, so behaupteten gehässige Zungen, habe ihn durch schlechte Erziehung und unsinnigen Aberglauben absichtlich dumm werden lassen. Obwohl er einen christlichen Namen trug, war Valentinian von den dunkelsten Zauberkünsten und Weissagungen besessen.
Wer diese Fehlentwicklung der mütterlichen Erziehung zuschrieb, war böswillig und schlecht informiert: Gallas Glaube an den christlichen Gott war echt und aufgeklärt. Sie hatte nichts übrig für das Geplapper über die Beschaffenheit des Blutflecks einer sterbenden Taube oder für all die anderen degenerierten Erscheinungen eines untergehenden Heidentums. Zu einer Zeit, da laute Bekundungen religiösen Eifers überall zu hören waren, wahre, göttlich inspirierte Liebe sich dagegen nirgends fand – man könnte freilich auch sagen, es war eine Zeit wie jede andere auch –, verschrieb sich Galla,so rücksichtslos und stolz sie auch sein mochte, ihr ganzes Leben lang der offiziellen Staatsreligion.
Außerdem übersah dieser Klatsch eine gewichtige Kleinigkeit: Valentinian war von Natur aus töricht und korrupt genug,
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