Der schwarze Krieger
aufzunehmenund seine Vision zu begreifen. Chanat erzählte später, er habe sich gefühlt, als hätte er probiert, eine ganze Kuh hinunterzuschlucken.
Ein Reich der Hunnen, das sich über die gesamte Welt von den Ruinen Roms bis zu den Ruinen Chinas erstreckte – das lag jenseits ihrer Vorstellungskraft.
Attila sprach zu ihnen über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, ihre gottverheißene Bestimmung. Er beschwor in ihrer Phantasie die Bilder großartiger Hunnenstädte herauf, die von den Armeen Chinas in alten Zeiten verwüstet worden waren. Einst waren sie Könige, sagte er, und hätten in majestätischen Städten gelebt, innerhalb einer ausgedehnten Krümmung im Norden des Gelben Flusses, in einem üppigen und wasserreichen Land namens Ordos.
«Das bezweifle ich», knurrte eine leise, alte Stimme.
Es war Chanat.
Den anderen stockte der Atem bei dieser Unverschämtheit. Doch Attila hörte ihm lächelnd zu. Seine Wertschätzung des furchtlosen, alten Kriegers war groß, und er ließ Chanat frei gewähren.
«Ich bezweifle dieses Gerede von irgendwelchen Städten», fuhr Chanat fort. «Wir wurden auf Pferderücken geboren. Du kennst die Sagen unseres Volkes.»
Attila neigte den Kopf. «Vielleicht, vielleicht auch nicht», entgegnete er. «Dass aber China unser uralter Feind ist, daran zweifelst du doch wohl nicht?»
Chanat dachte nach, indem er sich den langen grauen Schnurrbart strich. Dann schüttelte er den Kopf und knurrte: «Nein, daran würde ich nicht zweifeln.»
Kleiner Vogel zog ein merkwürdiges, abgenutztes Musikinstrument mit einer einzelnen Saite aus seinem Mantel. Er zupfte sanft an der Saite und änderte die Tonhöhe, indem erden hölzernen Rahmen des Instrumentes hin- und herbog, von einer tiefen, brummenden Note zu hohen, bohrenderen und klagenderen Tönen. Und er trug mit seiner hypnotischen und gespenstischen Stimme, die weder Singen noch Sprechen war, eine der alten Balladen aus jener Zeit vor. Es war das kleine Rätsel eines Schamanen, der weder ganz Mann noch ganz Kind, weder ganz verrückt noch ganz bei Sinnen war und der ebenso oft rückwärts auf seinem Pferd saß wie vorwärts.
Sie handelte von einem großen König, Tumen, der seinen ältesten Sohn Motun einem benachbarten Stamm als Geisel gab und seinen zweiten Sohn als Erben begünstigte. Weil er Motun tot sehen wollte, griff er daraufhin diesen benachbarten Stamm an, doch Motun entwischte und kehrte nach Hause zurück. Tumen begrüßte ihn mit falschem Lächeln und falschen Festlichkeiten, während er in seinem niederträchtigen Herzen die ganze Zeit über plante, seinen eigenen Sohn zu ermorden. Doch der Sohn heckte seinerseits einen düsteren Plan aus, um den eigenen Vater zu töten: Er wollte, dass alle seine Männer an dem Königsmord gleichermaßen schuldig würden, so wie er selbst, sodass niemand rebellieren könnte.
Zuerst drillte er seine Männer auf grausame Weise. «Schießt, worauf auch ich schieße», schrie er, «und Tod demjenigen, der auch nur zögert!»
Dann ging er auf die Jagd. Auf jedes Tier, das er schoss, schossen seine Männer auch. Saigaantilopen wurden mit Speeren getötet, sodass sie aussahen wie Stachelschweine, Wildschweine lagen leblos da wie riesige Igel. Daraufhin erhöhte er den Einsatz. Er richtete den Bogen auf sein eigenes Lieblingspferd, eines der Himmlischen Pferde. Einige Männer zögerten, und er ließ sie auf der Stelle hinrichten.Dann richtete Prinz Motun seinen Bogen auf seine Lieblingsfrau – und wieder taten einige Männer es ihm gleich, andere zögerten. Wieder ließ er jene Schwachen töten. Schließlich richtete er seinen Bogen auf das Pferd, das seinem Vater das teuerste war. Die Pfeile flogen, keiner zauderte.
Bald darauf ritt er bei der Jagd hinter seinem Vater, nockte einen Pfeil in seinen Bogen und schoss ihm in den Rücken. Sein Vater schwankte überrascht in seinem Sattel, der Schmerz quälte ihn. Der Rest von Motuns Männern, inzwischen so sehr auf Gehorsam gedrillt, dass sie nicht zögerten, taten das Gleiche. Im Nu lag König Tumen tot auf dem Boden, den Leib mit Pfeilen gespickt, dass nicht einer mehr Raum gefunden hätte.
Motun ließ die sterblichen Überreste seines Vaters verbrennen und in alle vier Winde verstreuen. Er behielt nur seinen entfleischten Schädel als Trinkkelch. Er wurde ein großer König und eroberte und vereinigte viele Stämme. Dergestalt waren die Anfänge des Königreichs der Hunnen an der nördlichen Krümmung des Gelben Flusses im Lande
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