Der schwarze Krieger
meinem Lasso und hätte dich durchaus ins Jenseits befördert.»
Chanat sah ihn scharf an.
«Du sturer alter Bock, du hättest zu streiten begonnen – unmittelbar vor unseren Feinden.»
Chanat grunzte. «Schon möglich.»
«Und dann wären wir alle umgebracht worden.»
«Wie ich schon sagte, ihr wart Narren!»
Mit seiner ruhigen Stimme, die Hände verschränkt, seine stahlblauen Augen noch immer geradeaus auf die leere Ebene gerichtet, sagte Orestes: «Begehst du denn nie eine Dummheit, weiser Chanat?»
«Nur wenn eine Frau im Spiel ist», brummte der alteKrieger. Und dann stakste er auf die andere Seite des Pferchs hinüber.
Attila und Orestes lächelten sich zu.
Sie tranken Wasser aus einer Feldflasche und wischten sich den Mund.
Der kalte blaue Himmel über ihnen. Stille. Alle warteten. Nur die Glöckchen der Ziegen, die sorglos im Gestrüpp grasten, waren in dem drückenden Schweigen zu hören. Der Tod war nahe.
«So einen Augenblick haben wir schon oft erlebt», sagte Attila. «Dieses Warten.» Schweißperlen bedeckten seine Stirn.
Orestes nickte. Auch über seine Stirn zog sich eine dünne Schweißspur, obwohl es ein kühler Tag war. Der Furcht vor einer Schlacht wird man niemals Herr. Er wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab.
«Damals, als wir zu Fuß in den grünen Ebenen der Mandschurei kämpften», murmelte Attila, «weil unsere Pferde krank waren, erinnerst du dich? Und dann, als wir gegen die Waldkrieger kämpften, die als Rüstung Gebinde aus Blättern trugen?»
Orestes zeigte sein schmales Lächeln. «Oder als wir am Gelben Fluss in voller Rüstung standen und du mit einem Spaten kämpftest, weil dein Schwert zerbrochen war.» Er schüttelte den Kopf. «Wir haben so oft Seite an Seite gekämpft, nicht wahr? Und jetzt das: ein heruntergekommenes Dorf an einem austrocknenden See, in einem Landstrich, der noch nicht einmal einen Namen hat.»
Attila dachte angestrengt nach. Dann sagte er: «Es gab eine Zeit in Italien, als ich noch ein kleiner Junge war und als Geisel bei den Römern lebte. Sie wollten meinen Tod damals.» Verächtlich kräuselte er die Lippen.
«Es gab aber auch Römer, die dich beschützten.»
«Ja, es gab einen anständigen Römer. Einen jungen Offizier.»
«Es gibt also auch gute Römer?»
«Einen oder zwei.»
«Und der Junge im Lager deines Onkels, Aëtius?»
Attila sagte nichts.
Sie tranken erneut.
«Das war, bevor ich zu euch kam», sagte Attila, «zu dir und deiner Schwester. In eure Höhle in den Apenninen und dann in das verwünschte Tal.»
«Ich habe es nicht vergessen.»
«Ich auch nicht.» Seine Stimme klang leise und tief.
Viere kämpfen um das Weltenende
Einer mit dem Reich,
Ein andrer mit dem Schwert,
Retten zwei sich, folgt die Wende,
Mit einem Wort, mit einem Sohn,
So will es die Legende.
Es herrschte Schweigen, und dann sagte Orestes: «Es gibt vieles, was wir nicht verstehen.»
«Vieles werden wir niemals verstehen können», erwiderte Attila, «aber der Krieg ist ein großer Lehrmeister.» Er berührte das Heft seines Schwerts, sein wundervolles Schwert mit den Intarsien, das er von einem römischen General erhalten und das er seinen Leuten als Schwert von Sawasch präsentiert hatte. Sie hatten daran geglaubt. Und er selbst? Wer hätte das zu sagen vermocht. Wer hätte zu sagen vermocht, woran Attila wirklich glaubte!
Er wies mit dem Kopf zum Horizont.
Orestes blickte auf. Es schien, als bewege sich der Horizontselbst. Als würde er glühen, und der Staub wäre Rauch. Er wischte sich noch einmal den Schweiß aus dem Gesicht.
«Eine gewöhnliche Truppe würde nur ein paar Dutzend Leute zählen», grübelte Orestes. «Das sind mehr als nur ein paar Dutzend. Das ist keine gewöhnliche Kampftruppe.»
«Zweitausend werden kommen. Sie wollen Rache. Und wir wollen, dass sie kommen, alle.»
Orestes stieß einen langen, zischenden Seufzer aus. «Du bist verrückt. Bei allem Respekt, Herr. Du bist verrückter als eine Horde Affen!»
Attila blickte nur starr auf den fernen, rauchenden Horizont. Langsam kniff er die Augen zusammen, seine Ohrringe glitzerten im Sonnenlicht. Leise, ohne sich umzudrehen, sagte er: «Mit Verlaub, alter Kamerad, wir wollen ja, dass sie alle kommen, damit ihr Lager unbewacht ist.»
Und dann stürmten die Leute des Wolfsvolkes heulend herbei.
Es klang, als würden sie von infernalischer Musik begleitet, die sich noch schrecklicher anhörte, je näher sie kamen. Jaulend und juchzend, schreiend und grölend
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