Der schwarze Magier
sich in das mächtige Holz der Bordwand. Gwendolyn lebte noch und sie war begehrenswerter denn je. Ihn überkam plötzlich ein Gefühl des Bedauerns, das er schnell unterdrückte. Sie war klug und mutig genug, um sich allein durchzuschlagen. Er hatte ihr viel beigebracht, Technik, Philosophie, Lebensweisheit. Sie würde eine gute Herrin von Valbourgh abgeben, sich vielleicht wieder einen jungen Mann ins Bett holen und jede Menge kleine Bastarde zur Welt bringen. Ihr Land würde blühen, wenn es keinen Krieg gibt, und sie würde ihn schon bald vergessen.
Er verschwendete noch keine tiefer gehenden Gedanken daran, was ihn auf englischem Boden erwartete. Keinesfalls würde er sich Mandevilles Rebellion gegen den neuen König anschließen. Auch wenn viele Barone John nicht gern auf dem Thron sahen, so war er doch nun, nach Richards Tod, der rechtmäßige König Englands. Und Rupert war sich sicher, dass die greise Eleonore alles daransetzen würde, ihren letzten lebenden Sohn dabei zu unterstützen; weniger aus Liebe zu John als zum Wohle des Reiches. Und Rupert war sich ebenso sicher, dass sich die Geschichte wiederholen würde, die alte Feindschaft zwischen dem englischen und dem französischen Thron würde wieder ausbrechen. Was Philipp bei Richard nicht geschafft hatte, würde er nun bei John wieder versuchen und ihm Stück für Stück des Landes auf dem Kontinent entreißen: Maine, Anjou, das reiche Aquitanien – und die Normandie. Sein Herz krampfte sich zusammen. Durch seine Ehe mit Gwendolyn war Valbourgh jetzt sein Lehen, doch er überließ es Gwendolyn, dafür zu kämpfen. Er biss sich auf die Unterlippe. Er war kein Ritter, kein Baron, er war nichts weiter als ein Mann, der die Welt aus einem anderen Blickwinkel sah.
Was waren es für Menschen, denen er begegnet war? Es waren Menschen, die Politik gemacht hatten, Kriege geführt, Länder erobert und wieder verloren, aber es waren Menschen. Er, Rupert, hatte sie beeinflusst, hatte versucht, sie zu lenken, ohne dass er es wirklich wollte. Doch was hatte er erreicht? Er hatte keinen Krieg verhindern können, er konnte nicht den Tod Saladins, nicht den Tod Richards, ja nicht einmal seine eigene Hochzeit verhindern! Was nützte ihm diese geheimnisvolle Macht, die Seele anderer Menschen beherrschen zu können, wenn er nicht selbst daraus Nutzen zog? Nein, er wollte nicht Gott sein, aber er wollte auch kein König sein. Könige schritten an seiner Seite, Könige buhlten um seine Gunst, Könige boten ihm ihre Freundschaft an, Königen gab er Rat. Königen blickte er in die Seele. Es sah einen Strudel aus Leidenschaft, Machtbesessenheit, Gläubigkeit und Ignoranz, Todesmut und Schwäche, Genialität und Wahn, sie et non. Nie wieder!
In Dover verabschiedete sich Rupert von Geoffrey of Mandeville, der es bedauerte, Rupert nicht für seine Pläne gewinnen zu können. Mandeville ritt nach London, während sich Rupert nach Westen begab. Dorthin, wo die alte normannische Burg seiner Familie lag.
Niemand schien ihn wiederzuerkennen, so wie er auch niemand mehr kannte. Er bat um ein Nachtlager, ein Bündel Stroh für sein Pferd und eine Schüssel Suppe aus der Küche.
»Wer ist der Herr dieser Burg?«, fragte er den Stallmeister, der bewundernd um Ruperts Pferd schlich.
»Es gibt keinen Herrn mehr«, sagte der Alte. »Nur noch die Witwe von John de Cazeville, Lady Maude. Der Herr wird seit zwei Jahren vermisst. Wahrscheinlich ist er tot, so jedenfalls denkt Mylady.«
»Und die anderen?«
»Welche anderen?«, fragte der Alte.
Rupert blickte ihn prüfend an. »Wie lange lebt Ihr schon hier auf dieser Burg?«
»Zweiundzwanzig Jahre, Herr. Warum fragt Ihr?«
Zweiundzwanzig Jahre! Doch Rupert hatte die Burg bereits vor zweiunddreißig Jahren verlassen! Nur einmal noch war er hierher zurückgekehrt, damals, als er sich sein schäbiges Erbe auszahlen ließ, um ein neues Leben zu beginnen.
Er blickte sich um. Alles war heruntergekommen, das Gemäuer, die Einrichtung, selbst die Menschen sahen verbraucht und ungepflegt aus. Wie anders ging es doch auf Valbourgh zu. Lady Gwendolyn, die tapfere kleine Kriegerin, hatte alles fest im Griff, sowohl ihre Burgmannen, die Waffenkammer, den Pferdestall und die Küche. Er dachte an das hydraulische Torhebewerk, das Wasserrad, die Blumen in den Kübeln und die weißen Tauben im Dach über ihrem Zimmer. Er dachte an ihr herzliches Lachen, ihre Küsse, ihre leidenschaftlichen Nächte. Und er dachte an ihre Tränen, ihre Vorwürfe, ihre
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