Der Schwarze Mandarin
ihn mit aller Verachtung an. »Ich werde Min Ju berichten, daß du mich hindern wolltest, meine Arbeit zu tun! Dann jammere nicht, wenn er Liyun bestraft …«
Rathenows Kopf fiel auf seine Brust. Liyun! Was werden sie mit Liyun tun? Was bin ich denn noch? Ein Fleischkloß ohne eigenen Willen, ein Automat, der auf Knopfdruck gehorchen muß. Ich habe einen Mord gesehen und eine gräßliche Verstümmelung und werde schweigen, um Liyuns Leben zu retten.
Er humpelte aus dem Büro. Yan Xiang lag noch immer an der blutbeschmierten Wand und rührte sich nicht. Nicht einen Laut gab er von sich, nicht einmal ein Stöhnen, obgleich er wahnsinnige Schmerzen haben mußte. Ein Chinese verträgt mehr, als man glaubt … Ninglin, ich wünsche mir mit aller Kraft, daß man eines Tages auch dich so behandelt, und dann werden wir sehen, was du ertragen kannst. Es war ein Gedanke, der sich in Rathenow festsetzte: Ninglin, ich werde dich vernichten! Deine eigenen Brüder werden dich verstümmeln und töten. Ich werde den Triaden so viele Lügen über dich erzählen, bis sie es glauben und dich bestrafen!
Und gleichzeitig dachte er: O Gott, was ist aus mir geworden? Ich kann jetzt geistig einen Mord vollziehen, ohne daß ein Funken Reue meine Seele erreicht! Es ist, als könnte ich mich schmerzlos zweiteilen: Hier der Dr. Hans Rathenow – dort der Triade Bai Juan Fa. Und eines Tages wird das eine Ich das andere Ich töten. Nur, welches Ich wird Sieger sein …?
Durch eine Hintertür, die von der Küche in einen Hof führte, verließen Ninglin und Rathenow das Lokal. Durch die Nacht liefen sie zum Wagen, fuhren eine Strecke ohne Licht und schalteten die Scheinwerfer erst ein, als sie die Hauptstraße erreichten.
»Wohin?« fragte Rathenow. Sein Schienbein und sein Oberschenkel schmerzten noch immer wie wahnsinnig.
»Zu deinem Wagen.«
»Ich weiß nicht, ob ich noch fahren kann.«
»Dann lege dich auf die Straße und schlafe.« Ninglin lachte kurz und hart auf. »Ihr Europäer habt die weichsten Knochen, die ich kenne. Schon wenn man dagegen furzt, brechen sie auseinander. Ihr werdet nie über die Chinesen Sieger sein …«
Warte es ab, dachte Rathenow. Aisin Ninglin, warte es ab. Ihr wollt mich zu einem Triaden erziehen – eines Tages werde ich handeln wie ein Triade: gegen euch!
Das ist ein Schwur, Ninglin. Ein heiliger Schwur – aber erst muß Liyun in Sicherheit sein …
*
Morgens um sieben, am nächsten Tag, standen vor dem Lokal ›Lotos‹ vier Polizeiwagen und ein Leichenwagen. Die Zufahrt war abgesperrt. Vor den Absperrbändern warteten einige Journalisten und ein Fernsehteam. Sie waren durch das Abhören des Polizeifunks alarmiert worden und sofort losgefahren. Der Polizist an der Absperrung aber ließ keinen durch.
»Erst müssen die Spuren gesichert werden«, sagte er. »Jungs, das wißt ihr ja! Ihr zertrampelt doch alles, und nachher heißt es: Die Polizei hat keine Hinweise. Ihr könnt immer noch früh genug filmen und fotografieren. Außerdem kennt ihr PP. Der hält euch sowieso für Aasgeier!«
Für Peter Probst war die Lage klar. Klar war nicht, warum man ihn erst am Morgen alarmiert hatte. Erst um halb sieben hatte Frau Yan die Polizei angerufen. Die Mordkommission. Der Kommissar vom Nachtdienst jagte darauf seinen Chef, den Kriminalrat Lutz Benicke, aus dem Bett, der wiederum, als er von einem Chinesenmord hörte, Oberrat Peter Probst wachklingelte.
»Deine gelben Männchen sind wieder aktiv!« sagte er am Telefon. »Restaurant ›Lotos‹ in Harlaching. Bis gleich.«
Nun war die Mordkommission bei der Spurensicherung, der Polizeifotograf schoß seine Bilder von der Leiche des Kellners und dem mißhandelten Yan Xiang.
Der Gastwirt saß in seinem Wohnzimmer in einem tiefen Sessel. Ein Arzt aus dem Harlachinger Krankenhaus hatte seine Armwunde verbunden und die ausgestochenen Augenhöhlen behandelt und schimpfte nun herum, weil Yan sich weigerte, in das Krankenhaus eingeliefert zu werden.
»Ich lehne jede Verantwortung ab!« rief er empört. »Sie wollen bei solchen Verletzungen nicht in die Klinik? Ich kann Sie polizeilich einweisen lassen!«
»Bekomme ich dort meine Augen wieder?« fragte Yan mit unverständlich ruhiger Stimme.
»Nein.«
»Was soll ich da im Krankenhaus?«
»Wenn Sie eine Wundinfektion in den Augenhöhlen bekommen …«
»Was dann, Doktor? Ich könnte sterben! Macht das jetzt noch etwas aus?«
Er blieb in seinem Sessel sitzen, hatte die rechte Hand seiner Frau ergriffen und
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