Der Schwarze Mandarin
unsichtbar!«
»Doch, das waren sie.«
PP atmete tief durch. Ruhig bleiben! befahl er sich. Junge, ganz ruhig! Losbrüllen hat keinen Zweck. Also immer höflich sein, geduldig – denk dich in einen Chinesen hinein.
»Die Tür geht also plötzlich auf – und niemand steht drin?«
»Nur einen Arm habe ich gesehen und eine Hand, die hat ein Messer auf mich geschleudert. Es traf mich in den Arm, und ich wurde ohnmächtig.« Die leeren Augenhöhlen starrten PP wieder an. »Glauben Sie mir, Herr Kommissar …«
»Und dann?«
»Ich weiß nichts mehr, ich war ja ohnmächtig. Als ich wieder aufwachte, hatte ich keine Augen mehr.«
Das hat er sich fabelhaft ausgedacht, dachte PP verblüfft. Ein Ohnmächtiger ist natürlich kein Zeuge. Wer nichts sieht, kann nichts sagen. Tür auf, ein Messer fliegt – aus! So einfach ist das, und keiner kann das Gegenteil beweisen. Denn das Messer im Arm ist Realität.
»Waren es Chinesen?« fragte Probst weiter.
»Wie soll ich das wissen?«
»Der Arm! An dem Arm muß doch ein Mensch gehangen haben«, sagte PP ironisch. »Ein Arm allein geht doch nicht spazieren!«
»Es geschah alles so schnell.« Yan Xiang senkte wieder den Kopf und drückte die Hand seiner weinenden Frau.
PP sah es. Das ist keine Zärtlichkeit – das ist eine Warnung. Halt den Mund! Wußte Angela Yan geborene Hätterli aus Luzern mehr, als man vermutete? Lag sie wirklich gegen drei Uhr morgens im Bett? Hatte sie wirklich nichts gehört?
»Und der Mord an Ihrem Kellner?«
»Ich wußte gar nicht, daß er ermordet wurde. Meine Frau hat es mir erst gesagt. ›Sie haben Jing Xing umgebracht‹, hat sie geschrien.«
»Wieso ›sie‹. Warum nicht ›er‹?« PP sah Frau Yan scharf an. »Woher wußten Sie, daß es mehrere Täter waren?«
»Ich weiß es gar nicht. Man sagt doch so: Sie haben ihn umgebracht.«
PP drückte wieder Yans Schulter. »Hatten Sie Feinde?«
»Jeder Mensch hat Feinde. Neider. Mißgünstige.«
»Nennen Sie einige.«
»Wie soll ich sie nennen? Ich kenne sie nicht. Ich nehme es nur an! Wer Erfolg hat – wie ich –, auf den schielt die Konkurrenz. Da braucht man keine Namen. Man weiß es nur.«
»Jing Xing hat nicht geschrien, um Hilfe gerufen, sich gewehrt? Seine Leiche lag vier Meter von Ihrer Bürotür entfernt. Sie müssen doch was gehört haben!«
»Ich hatte das Radio an.«
»Welchen Sender?«
»Ich weiß es nicht. Man spielte Operettenmusik.«
»Und wer hat das Radio wieder ausgestellt?«
»Es muß der Täter gewesen sein. Als ich aus der Ohnmacht erwachte, war alles still.«
PP blätterte in seinen Notizen. »Die Zeiten stimmen nicht, Herr Yan. Sie sagen: Es war gegen halb drei Uhr morgens …«
»Meine Frau sagt es. Ich weiß es nicht.«
»Um halb drei ist Ihre Küche längst zu – um halb drei ist Ihr Lokal auch nicht mehr geöffnet. Das ›Lotos‹ hat keine Nachtkonzession. Die Eingangstür war außerdem von innen verschlossen, und es gibt keinen Hinweis, daß eingebrochen wurde. Nichts ist beschädigt worden. Keine Tür, kein Fenster. Nur eine Hintertür zum Hof war offen – durch die haben die oder der Täter das Lokal verlassen. Es scheint also so, als habe Ihr Kellner den Täter hereingelassen. Wieso war Jing Xing um diese Zeit noch in dem Lokal?«
»Das weiß nur er. Leider können Sie ihn nicht mehr fragen, Herr Kommissar.«
»Kam es öfter vor, daß Jing so spät nach Hause ging?«
»Nein. Nie.«
»Und warum gestern?«
»Ich weiß es nicht …«
PP gab es auf, Yan weiter zu befragen. Er wandte sich wieder Angela Yan zu.
»Sie haben Ihren Mann nach halb drei Uhr im Büro gefunden. Und dann Ihren Kellner. Die Polizei aber haben Sie erst gegen halb sieben heute morgen alarmiert. Dazwischen liegen vier Stunden. Was haben Sie in den vier Stunden gemacht?«
»Mich um meinen Mann gekümmert. Ihn nach oben geschleppt. Ihn gewaschen. Er war ja voller Blut.« Angela Yan hatte aufgehört zu weinen. Sie schluchzte nur noch ab und zu. Und wieder drückte Yan ihre Hand. Sie zitterte.
»Warum haben Sie nicht sofort einen Arzt gerufen? Das ist doch das erste, was eine Frau tut.«
»Mein Mann wollte es nicht.«
»Das verstehe ich nicht. Herr Yan, da liegt unten in Ihrem Lokal ein ermordeter Kellner, Ihnen hat man die Augen ausgestochen, und Sie befehlen Ihrer Frau, nichts zu unternehmen! Das ist doch – vorsichtig ausgedrückt – ungewöhnlich!«
»Ein Toter wird nicht lebendig, auch wenn man die Polizei ruft. Und meine Augen kann mir auch das Kommissariat
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