Der Schwarze Mandarin
streichelte sie, als habe sie Trost nötiger als er.
Die Kripobeamten der Mordkommission fanden natürlich weder im Gastraum noch im Büro eine brauchbare Spur; der einzige, der etwas Konkretes sagen konnte, war der Polizeiarzt.
»Wahrscheinlich – das müssen wir aber erst im gerichtsmedizinischen Institut genau klären – ist der Kellner durch einen einzigen Handkantenschlag getötet worden. Einen Karateschlag oder auch einen Kung-Fu-Schlag.«
»Das ist dein Revier, PP«, sagte Benicke zu Probst. »Meine Mörder haben Schußwaffen oder Messer oder Stricke. Kung-Fu, das sind deine Schlitzäuglein!«
Oberrat Probst hielt sich nicht lange bei dem Toten auf, er ging hinauf in die Wohnung. Yan Xiang hörte ihn kommen und wandte sein Gesicht der Tür zu. Die leeren, blutigen Augenhöhlen glotzten Probst an. Ein fürchterlicher Anblick, aber Yan hatte dem Arzt verboten, ihm die Augen zu verbinden.
»Später …«, hatte er gesagt. »Erst die Polizei …«
PP hatte in seinem Kriminaler-Leben schon viel Entsetzliches gesehen, aber die leeren Augenhöhlen erschütterten ihn bis ins Herz. Er trat an den Chinesen heran und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich bin Kriminaloberrat Peter Probst«, sagte er und hörte selbst, daß seine Stimme heiser klang. »Wie geht es Ihnen, Herr Yan?«
»Es ist zu ertragen.« Yan hob den Kopf. Die Augenhöhlen schrien Probst entgegen. »Sie haben Fragen?«
»Eine Menge. Fühlen Sie sich in der Lage, Antworten zu geben?«
»Es gibt keine Antworten …«
Jetzt geht's los, dachte PP voller Bitterkeit. Jetzt geschieht dasselbe wie immer: Keiner weiß was! Keiner hat was gesehen, keiner einen Ton gehört. Mord und Verstümmelung sind lautlos vom Himmel geregnet. Fangen wir also mit der Frau an. Sie ist in Tränen aufgelöst. Sie hat nicht den eisernen Willen eines Chinesen. Sie ist in diesem Fall das schwache Glied einer Kette, die ich zerreißen muß.
Er wandte sich an die junge, blonde Frau, die in einem groß geblümten Bademantel neben Yan stand.
»Sie sind Frau Yan?« fragte er.
»Ja.« Sie schluckte mehrmals, ehe sie weitersprechen konnte. »Angela Yan geborene Hätterli. Geboren in Luzern.«
»Wo waren Sie, als dies hier geschah?«
»Hier oben, in der Wohnung. Ich habe geschlafen.«
»Sie haben nichts gehört?«
»Nein. Nichts.«
»Keinen Schrei, kein lautes Geräusch?«
»Nichts …«
»Wann haben Sie Ihren Mann und den Toten gefunden?«
»Mein Mann rief mich vom Telefon im Büro an.«
Das stimmte. Die Spurensuche der Mordkommission hatte den blutverschmierten Telefonapparat fotografiert und wollte ihn zur Untersuchung mitnehmen. Yan Xiang hatte sich also, mit ausgestochenen Augen, zum Telefon geschleppt und seine Frau in der Wohnung angerufen. Welch eine Energie in diesem Mann!
»Wann war das?« fragte PP und machte sich Notizen. Das war eigentlich nicht nötig, denn ein Beamter neben ihm nahm alles auf ein Tonband auf. PP aber liebte es, in eigenen Notizen zu blättern wie der schon legendäre amerikanische Kriminalinspektor Columbo.
»Gegen drei Uhr früh …«
PP legte seine Hand wieder auf Yans Schulter. »War das ungefähr die Zeit des Überfalls?«
»Ich weiß es nicht.« Yan Xiang senkte den Kopf. »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
»Sitzen Sie immer so spät noch im Büro?«
»Nein. Gestern habe ich überlegt, wie man das Lokal noch schöner ausstatten könnte. Außerdem war ein Brief vom Ordnungsamt gekommen …«
Auch das stimmt, dachte PP. Der Briefbogen ist gefunden worden, zerknüllt und voller Blut. Lutz Benicke hatte ihn Probst gezeigt und dabei bemerkt: »Sieht aus, als sei mit ihm ein Messer abgewischt worden. Aber keinerlei Fingerspuren.«
»Und dann?« fragte PP.
Yan Xiang hob die Schulter.
»Ich weiß nichts. Keine Erinnerung.«
Da haben wir's wieder: die Gedächtnislücken der Chinesen, die Todesangst vor den Triaden. Selbst wenn man ihnen die Augen aussticht, schweigen die Opfer. Was muß denn geschehen, damit sie anfangen zu reden? Ihr eigenes Leben ist ihnen keinen Heller wert – die meisten sind verheiratet, haben Kinder, und für die schweigen sie. Es ist ganz klar, daß auch Yan seine Frau schützen will.
»Wie viele waren es?« fragte er weiter.
»Ich habe sie nicht gesehen.«
»Herr Yan … Sie sitzen im Büro, die Tür geht plötzlich auf, der Mörder kommt herein – oder die Mörder –, die Tür ist genau gegenüber Ihrem Schreibtisch. Sie müssen den oder die Täter gesehen haben! Sie waren doch nicht
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