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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stummheit, daß der neue Bruder nach diesem Schwur zu ihnen gehörte. Sein Herz gehörte den Triaden, sein Körper gehörte den Triaden, sein Blut floß für die Triaden, sein Geist dachte für die Triaden, seine Seele vereinte sich mit der Seele aller Brüder. Rathenow begriff es, sosehr er sich bisher gewehrt hatte. Als er den Schwurfinger sinken ließ, Min Ju ihn umarmte und an sich zog und auf die Wangen küßte, war ihm zumute, als läge er jetzt in einem offenen Sarg und würde hinausgetragen, und auf dem Weg zur ewigen Verdammnis, durch die Reihen der schwarzen Mandarine, erdolchten ihn Hunderte von Blicken. Und alle schrien ihm in seinem Sarg zu: Du hast gelogen! Du hast uns mit jedem Wort des Eides verraten! Du hast uns hintergangen! Du hast nicht geschworen – du hast uns getäuscht!
    Rathenow hob den Kopf und lehnte sich gegen Min Ju wie gegen eine Säule.
    »Ich muß etwas trinken«, stotterte er. Es klang wie das Röcheln eines Sterbenden. »Bringt mir was zu trinken!«
    Einer der Triaden löste sich aus der Reihe und rannte davon. Ich werde meinen Schwurbrüdern immer helfen … jetzt wurde es praktiziert. Nach wenigen Sekunden reichte der zurückgekommene Triade ein großes Glas Wasser an Min, der es Rathenow in die Hand drückte. Als brenne er innerlich, stürzte Rathenow das Wasser in sich hinein. Es befreite ihn von seinem Schwindel und ließ ihn seine Umgebung wieder deutlicher erkennen. Jetzt meinen geliebten Wodka, nur ein Glas, und die Schwäche ist besiegt. Das ist eine neue Erfahrung für mich: Ich bin nicht mehr belastbar. Früher – da hätte ich diese theatralische Zeremonie mit innerem Lachen und äußerer Gelassenheit über mich ergehen lassen und hätte mitgespielt, Ernst und Würde zeigend, als ergriffen mich der Eid und seine Folgen wirklich. Heute hat sich alles gewandelt. Du stehst vor diesem vergoldeten Buddha und spürst, daß du in eine andere Welt hinübergetreten bist und dein Ich sich zu wandeln beginnt. Warum wehrst du dich nicht dagegen? Wo ist deine Kraft geblieben? Dieser Lebenswille, der dich bisher immer begleitet und dir geholfen hat? Was ist dir geblieben? Warum nimmst du den Eid so ernst? Was hat sich denn geändert? Du bist Dr. Hans Rathenow – und du bleibst es, auch wenn man dir einen Mantel umhängt, bestickt mit Tin Tei Wui … Himmel-Erde-Mensch … Du spielst ein Spiel, auch wenn es tödlich enden kann. Und darum mußt du deine Stärke behalten! Nimm den Eid wie eine Maske und halte sie dir vor das Gesicht. Das Gesicht hinter der Maske ist dein wirkliches Gesicht, und es bleibt dir; du bist nicht, was man sieht, sondern du bist, was du bist.
    Rathenow gab das Glas an den Triaden zurück und wandte sich zu Min Ju. Er lächelte verlegen. »Es ist vorbei«, sagte er und versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Verzeih, Bruder Ju.«
    »Fühlst du dich besser?«
    »Viel besser.«
    »Ich habe Verständnis dafür.« Min Ju legte den Arm um Rathenows Hüfte. »Ich habe neue Hong-Brüder erlebt, die sind nach dem Schwur in Ohnmacht gefallen, oder sie haben gezuckt und sich auf dem Boden gewunden wie ein Epileptiker. Noch etwas Wasser, Hong Bai Juan Fa?«
    »Danke. Ich könnte jetzt einen Wodka brauchen.«
    »Bei uns gibt es keinen Wodka.« Min ließ ihn los. »Wodka kommt aus Rußland, und Rußland ist kommunistisch. Wir hassen den Kommunismus und bekämpfen ihn, seit Mao unser Vaterland geknechtet hat. Kein Triade von 14K wird jemals einen Wodka trinken. Und wenn es das einzige Getränk vor dem Verdursten wäre, er würde es nie anrühren, sondern eher sein eigenes Blut trinken. Ich weiß, du liebst Wodka. Verzichte darauf, denn jetzt bist du ein Hong und hast das Tor zu deiner Familie durchschritten. Können wir weitermachen?«
    »Das war noch nicht alles?« fragte Rathenow. »Was kommt denn noch?«
    Min Ju winkte. Aus dem Hintergrund trat wieder der schwarze Priester hervor. In seinen Händen hielt er einen flatternden weißen Hahn und hob ihn vor dem goldenen Buddha in die Höhe. Ein Triade aus der linken Reihe trat hervor. Er trug ein blitzendes, mit Gold und Edelsteinen verziertes Schwert auf beiden Händen, so wie man eine Opfergabe überreicht. Neben dem Priester blieb er stehen und blickte Rathenow mit unbewegtem Gesicht an. Das Saiteninstrument schwieg, dafür erklang wieder eine Flöte mit einer traurigen, schwermütigen Melodie. Die Töne klangen klagend durch den Tempel, als kämen sie aus einer anderen Sphäre. Man kann durch sie in Trance

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