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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wird dich leider nicht erfreuen. Der Gao Lao schickte mir einen Brief aus Hongkong mit der Bitte, dir den Inhalt zu zeigen.«
    »Was ist mit Liyun? Min, ich ahne, daß es etwas mit Liyun zu tun hat!«
    »Deine Ahnung trügt dich nicht.« Er griff in seine Rocktasche und holte ein längliches Luftpostkuvert hervor. »Es war zu erwarten.«
    »Was war zu erwarten? Was ist mit Liyun passiert? Min, mach den Mund auf! Gib mir das Kuvert!«
    Min Ju seufzte, sein Gesicht drückte großes Bedauern aus. Er schob Rathenow das Kuvert hinüber und senkte dann den Blick.
    Rathenow klappte das Kuvert auf. Seine Finger zitterten dabei. Und dann fielen aus dem Umschlag lautlos zwei Dinge auf den Tisch.
    Eine Locke schwarzen seidigen Haars und ein mattgrauer, durchsichtiger Fingernagel. Ein kleiner, fast kindlicher Nagel. Der Nagel des kleinen Fingers.
    Rathenow starrte die Gegenstände wortlos an. Er war nicht fähig, etwas zu sagen. Er wußte nur eines: Sie haben Liyun eine Haarlocke abgeschnitten, und sie haben ihr den Nagel des kleinen Fingers ausgerissen. Sie haben sie gequält, sie haben sie mißhandelt, sie wird vor Schmerzen geschrien haben. Liyun! Liyun!
    »Ihr Teufel!« würgte Rathenow hervor. »Ihr verdammten Teufel.«
    »Ich habe deinen Ungehorsam melden müssen, Hong Bai Juan Fa – das war meine unumgängliche Pflicht. Du hast es vielleicht nicht glauben wollen, hast es nur für eine Drohung gehalten … du siehst, es ist die Wahrheit: Was du an Strafe verdient hast, muß Liyun einlösen. Du solltest dem Gao Lao dankbar sein.«
    »Dankbar, daß er Liyun mißhandelt hat?«
    »Er hat einem Ungehorsamen große Gnade geschenkt. Er hat nur eine Locke ihres Haares genommen und einen Fingernagel. Beides wird wieder nachwachsen. Bei jedem anderen hätte er das erste Glied des Fingers abhacken lassen. So war es nur eine Warnung – die erste und die letzte. Sei wirklich dankbar!«
    Rathenow schob die Haarsträhne und den Fingernagel in das Kuvert zurück und steckte es ein. Er stieß den Stuhl zurück und stand auf.
    »Ich möchte gehen!« sagte er.
    »Es ist die Feier zu deinen Ehren.«
    »Ich verzichte darauf.«
    »Du beleidigst deine Familie. Auch das ist ein Vergehen gegen die 36 Eide. Soll man Liyun wirklich ein Fingerglied nehmen?«
    Rathenow schloß die Augen und setzte sich wieder. Du hast keinen eigenen Willen mehr, du bist wie eine Marionette, und die Bestien, die die Fäden halten, können dich tanzen oder buckeln oder drehen lassen, ganz wie sie wollen. Und sie können dich töten, dich und Liyun – und niemand wird je die Mörder finden und uns rächen. Liyun, verzeih mir, wenn das überhaupt möglich ist! Es war das erste- und letztemal, daß du für mich bestraft wurdest. Das ist ein Schwur, Liyun, ein Schwur, der hundertmal mehr gilt als die 36 Blut-Eide der 14K.
    Endlich, gegen drei Uhr morgens, war das Festessen beendet. Die Triaden zerstreuten sich in alle Richtungen, immer einzeln, um nicht aufzufallen. Sie hatten ihre Wagen in Nebenstraßen geparkt, oft zehn Minuten zu Fuß vom ›Schwarzen Mandarin‹ entfernt, und so dauerte es fast zwanzig Minuten, bis Min und Rathenow allein im Lokal standen. Zou Shukong war in seine Wohnung über dem Restaurant gegangen. Nur der Kellner war noch da und wartete, bis auch Min und Hong Bai Juan Fa hinaus in die warme Sommernacht traten.
    »Nächste Woche beginnt deine Tour, auf der du dich vorstellen mußt«, sagte Min. »Ninglin wird dich herumführen. Es ist seine letzte Arbeit als Grassandale. Dann wirst du die Schutzgelder selbständig einnehmen. Und versuche nicht, ein christlicher Menschenfreund zu sein. Ich habe eine Liste und weiß, wieviel Geld du nach jeder Tour mitbringen mußt. Zahlt jemand nicht oder macht Ausflüchte und Schwierigkeiten, melde ihn mir sofort vom nächsten Telefon aus. Dann wird Ninglin sich um ihn kümmern. Es gibt keine Ausreden. Glaube ihnen nicht! Glaube keinem mehr! Sie verdienen alle genug, um ihre Schutzgebühr bezahlen zu können. Werde nicht weich, wenn sie händeringend und herzerweichend auf dich einreden! Diskutiere nicht mit ihnen – das zeigt nur deine Schwäche! Geh ruhig hinaus, das andere besorgen wir. Vergiß nicht: Du bist immer der Stärkere, auch wenn du vor ihnen schweigst. Wenn du dann das nächstemal kommst, werden sie sich tief vor dir verbeugen. Ein Chinese braucht eine harte Hand in seinem Nacken … das ist seit 5.000 Jahren so und wird sich nicht ändern. Diese westlichen Spinner mit ihrem Glauben an Demokratie!

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