Der Schwarze Mandarin
losreißen.
Er schrak erst wieder auf und wurde sich bewußt, wo er war, als Mins Stimme neben ihm erklang und auf deutsch sagte:
»Brüder, wir sind zusammengekommen, um einen neuen Hong in unsere Familie aufzunehmen. Ich habe lange überlegt, ob es der rechte Weg ist. Ich habe um Erleuchtung gebetet und den Gao Lao in Hongkong um Weisheit angefleht. Der Große Rat hat es bestimmt, und so soll es sein. Bai Juan Fa, dreh dich zu mir und deinen zukünftigen Brüdern um. Ich frage dich vor deiner Familie: Willst du ein Hong sein? Willst du dein Leben in unsere Hand geben, so wie deine Brüder ihr Leben der Familie versprochen haben? Willst du der Gesellschaft der Drei-in-einem, Himmel-Erde-Mensch, Tin Tei Wui, uns, den Triaden, die ewige Treue schwören und aufgenommen werden in den Bund der Unsterblichen? Überlege es dir!«
»Es gibt nichts mehr zu überlegen!« sagte Rathenow. Es klang, als schabe man über rostiges Eisen.
»Dann gib mir deinen Schwurfinger.«
Aus dem Hintergrund trat ein Chinese hervor, der einen Priesterumhang trug, aber nicht gelb oder orangefarbig, sondern ebenfalls schwarz. Er brachte eine kleine Porzellanschale mit, ein schmales, scharfes Messer und einen Wattebausch.
»Nimm das Messer«, sagte Min Ju und hielt die Schale unter Rathenows Schwurfinger. »Stich in das erste Glied, und trinke das Blut, das hervorquillt. Damit bekräftigst du, daß dein Treueschwur gilt und nur mit deinem Blut gerächt werden kann, wenn du ihn vergißt. Nimm das Messer!«
Rathenow biß sich auf die Zähne. Der Widerstand kehrte in ihn zurück. Buddhas Antlitz strahlte nicht mehr in seinen Augen. Das alles ist doch Theater, sagte er sich wieder. Wie in ›Winnetou‹ von Karl May. Blutsbruderschaft. Es war lächerlich.
Rathenow ritzte sich die Fingerkuppe auf, steckte sie in den Mund und saugte sein Blut ab. Dann ließ er ein paar Tropfen in die Porzellanschale fallen und drückte den Wattebausch gegen das Fingerglied. Der Priester entfernte sich mit der Schale. Das scharfe Messer aber legte er vor den Buddha neben Obst und Blüten. Gott und wir werden dein Richter sein!
Aus der Reihe der Triaden trat ein zweiter Mann hervor und klappte eine Mappe auf. Er reichte sie Min Ju und trat wieder in die Reihe zurück.
Min Ju sah Rathenow lange an, ehe er weitersprach.
»Seit über 150 Jahren haben alle Triaden den Blut-Eid geleistet, den sie mit ihrem Blut auch besiegelt haben. Es geschieht heute zum erstenmal, daß dieser heilige Eid in einer fremden Sprache erklingt. Das ist eine Ehre für dich, die noch niemand erfahren hat. Hör die 36 Blut-Eide an, und sprich mir Punkt für Punkt nach. Heb den Schwurfinger und frage dich bei jedem Satz, ob du das, was du gelobst, auch einhalten kannst.« Min Ju hob die Mappe näher an seine Augen. Im Hintergrund ertönte ganz leise, als Untermalung des Eides, wieder das Saiteninstrument. Es sollte besonders feierlich sein, aber Rathenow dachte wieder: Welch ein Kitsch. Ein Melodram schlimmster Art. So hat man früher in Hollywood chinesische Filme gedreht, und die Zuschauer klebten fasziniert in ihren Sesseln. Ich werde alles schwören, was du willst, Min Ju. Für mich ist es ein billiges Theaterstück, in dem ich als Komparse auftrete.
Auch wenn euer Triadenschwur über 150 Jahre alt ist – er wird mich nicht binden. Er ist für euch Chinesen geschrieben, für eure eigene Mentalität. Ich habe nichts mit ihr zu tun. Was ich dir jetzt nachspreche, ist wie ein Wind, wie Worte, die verwehen.
Aber Rathenow irrte sich. Je mehr er Min Ju nachsprach, um so fester legte sich auf sein Herz ein Druck, als presse man es in seiner Brust zusammen. Am Ende des Blut-Eides war Rathenow innerlich so aufgewühlt, daß er schwankte und von Min gestützt werden mußte. Was habe ich da geschworen? durchlief es ihn. Mein Gott, was habe ich getan? Jetzt bin ich ein Triade, ein Hong, aber als Mensch bin ich nun ein Nichts.
Min Ju begann zu lesen, und Rathenow sprach ihm Satz um Satz nach, den Schwurfinger in die Höhe gestreckt. Ein paar Tropfen Blut liefen noch aus der kleinen Wunde und rannen an seinem Handgelenk hinunter in die Manschette des Hemdes.
Ich, Bai Juan Fa, knie vor dem Gott und schwöre den Blut-Eid für meine unauflösliche Bruderschaft.
1
Nachdem ich das Hong-Tor durchschritten habe, werde ich die Eltern und Verwandten meiner Schwurbrüder wie mein eigen Fleisch und Blut behandeln.
2
Ich werde meine Schwurbrüder bei der Bestattung ihrer Eltern und Brüder finanziell und
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