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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fallen, empfand Rathenow und wehrte sich innerlich gegen das Weggleiten der Sinne. Ich leiste Widerstand, die Momente der Schwäche sind vorüber. Ich kann wieder klar denken. Dennoch zuckte er zusammen, als er wieder Mins Stimme hörte.
    »Du wirst dem Hahn den Kopf vom Rumpf trennen«, sagte er, und es klang wieder sehr feierlich. »Du wirst das Schwert der Ming-Kaiser nehmen und mit einem Schlag den Hahn köpfen. Das ist dein Schwur, daß es dir genauso ergehen wird, wenn du durch Untreue oder Verrat aus der Familie ausgestoßen wirst. Der Kopf des Hahnes kann auch dein Kopf sein. Bist du bereit?«
    Rathenow nickte stumm. Der Triade hielt ihm das Schwert hin. Er nahm es, umklammerte den Griff mit den Edelsteinen und ließ es sinken. Es war leichter, als er vermutet hatte, aber er wußte auch, daß die Klinge scharf wie ein Rasiermesser war und Reispapier in der Luft zerschneiden konnte.
    Min Ju stieß ihn an. »Hast du schon mal einen Hahn geköpft?« fragte er leise.
    »Nein! Ich brauchte das nie.«
    »Dann erkläre ich es dir. Du faßt den Hahn an seinen beiden Flügeln, läßt seinen Kopf herunterhängen und schlägst ihn mit einem Schwertschlag ab. Die Bauern legen ihn auf einen Holzblock, aber wir köpfen ihn in der Luft. Und halt ihn gut fest, sonst flattert er dir davon und läuft ohne Kopf vor dir her.«
    »Das weiß ich.« Rathenow atmete tief durch. Ist das jetzt das Ende der Zeremonie oder folgen noch weitere Rituale? Wird man verlangen, daß ich auch noch einen Menschen töte? Was soll ich tun, wenn sie mich dazu zwingen sollten? Er fand darauf keine Antwort. Er zitterte plötzlich.
    »Du mußt eine ruhige Hand haben«, hörte er Min Ju sagen. »Ein Kämpfer sieht nur seinen Feind, nicht seine eigenen Wunden.«
    »Ich bin kein Kämpfer, sondern nur eine Grassandale.«
    »Auch ein Cho Hai muß sich wehren können. Auch in ihm lebt die Tradition der Mandarine weiter, die Ehrfurcht erlangten durch ihre Macht und Stärke.« Mins Stimme wurde befehlend. »Nimm das Kaiserschwert und schlage den Kopf ab!«
    Der schwarze Priester hielt Rathenow den flatternden und schreienden Hahn so hin, daß er ihn mit der linken Hand fassen und beide Flügel zusammenpressen konnte. Er ließ den Kopf des Tieres nach unten hängen und biß die Zähne zusammen, als er die glänzenden, weit aufgerissenen Augen sah. Augen, aus denen die Todesangst schrie.
    Die unsichtbare Flöte jammerte ihr Trauerlied. Die Augen der Triaden waren auf ihn gerichtet, der Priester trat drei Schritte zurück. Das Blut, das gleich aus dem zerteilten Hals spritzen würde, sollte ihn nicht treffen. Er brauchte es nicht mehr. Vor 52 Jahren hatte er wie Hong Bai Juan Fa auch seinen weißen Hahn geköpft, in einem Tempel bei Keung Shan auf Lantau, der großen, zu Hongkong gehörenden Insel im Südchinesischen Meer. Damals war das Blut des Tieres über seinen ganzen Körper gespritzt, weil er den Hahn zu dicht an sich gehalten hatte. War es bei Hong Bai Juan Fa auch so?
    Rathenow überwand seinen Ekel und hob das Schwert. Auf der blanken, wie in Silber getauchten Klinge schimmerte der Widerschein der Kerzen und Öllampen. Er nahm mit zusammengekniffenen Augen Maß, und dann zuckte das Schwert durch die Luft, zerteilte zuerst die feinen Rauchsäulen der Räucherkerzen und traf dann den Hals des schreienden Hahns. Der abgetrennte Kopf fiel vor seine Füße, und er hielt krampfhaft die Flügel fest, streckte die Hand aus, ließ das Blut auf den roten Teppich schießen und bemerkte nicht, wie der Priester ihm das Schwert aus der Hand nahm, mit ihm zurücktrat und es vor sich in den Boden stemmte.
    Es dauerte nicht lange, bis die Zuckungen des weißen Hahns nachließen und auch seine Nerven den Tod akzeptierten. Der Blutstrom verebbte. Min Ju nahm Rathenow den leblosen Körper aus der Hand und trug ihn zu dem goldenen Buddha. Er legte ihn auf den Altar zu den anderen Geschenken für den Gott und kehrte dann zu Rathenow zurück.
    »Brüder«, sagte er an seiner Seite, »unsere Familie hat einen Sohn mehr. Empfangt ihn, wie es seiner Würde entspricht.«
    Und dann kamen die schwarzen Gestalten zu ihm, Mann nach Mann, in einer langen Reihe. Und sie umarmten ihn, gaben ihm den Bruderkuß auf die Wange und sagten auf chinesisch zu ihm: »Chang Shou, Xing Fu!« Lebe lange und greif nach dem Glück!
    Als letzter trat Aisin Ninglin zu ihm. Er umarmte ihn ebenfalls, doch er küßte ihn nicht. Doch während sie sich umarmten, sagte Ninglin in Rathenows Ohr:
    »Ich muß

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