Der Schwarze Mandarin
sich an das Sekretariat von Dr. Klee. Es wird Ihnen einen Termin geben. Aber ich sage es Ihnen gleich: Herr Dr. Klee wird übermorgen in Urlaub fahren. Sie werden frühestens in vier Wochen einen Termin bekommen.«
Grußlos verließ Rathenow die Amtsstube.
*
Am nächsten Tag begann Rathenow seine Beobachtungstour durch die chinesischen Restaurants. Liyun begleitete ihn.
Als Rathenow ihr von seinem Gespräch bei der Münchener Ausländerbehörde erzählt hatte, war sie zuerst wütend geworden. »Die Deutschen wollen mich rauswerfen?« hatte sie geschrien. »Weil ich mit dir leben will und keinen Beruf ausübe, der dem deutschen Staatsinteresse nützlich ist? Was versteht ihr Deutschen darunter? Tausende chinesische Kellner leben hier – sind sie von Staatsinteresse? Hast du sie das gefragt? Ich weiß genau, was sie denken: Diese Wang Liyun ist die Geliebte des berühmten Rathenow, und einmal hat er sie über, wirft sie raus, und dann müssen wir für sie aufkommen! Der deutsche Steuerzahler. Es ist keine Garantie, wenn der Rathenow versichert: Liyun und ich bleiben ein Leben lang zusammen. Was heißt ein Leben lang? Er ist 33 Jahre älter als sie, er wird, er muß vor ihr sterben, und dann liegt die Witwe dem deutschen Staat auf der Tasche! Ich will kein Geld von diesem Staat! Ich will nur bei dir bleiben … Haben sie denn kein Herz?«
»Im Gesetz ist Herz nicht vorgesehen. Und gegen Ausländer sind unsere Beamten allergisch geworden. Das Asylgesetz wird oft mißbraucht.«
»Ich will kein Asyl, ich will bei dir sein. In jedem Gesetz gibt es Möglichkeiten.«
»Ja, den sogenannten Ermessensspielraum. Da liegt es ausschließlich an dem Beamten, ob er dem Antrag stattgibt. Da spielt die persönliche Sympathie immer eine Rolle. Ich habe das Gefühl, daß auch in unserem Fall nicht Logik maßgebend ist, sondern eine persönliche Abneigung. Doch ich gebe nicht auf.«
»Wir haben doch keine Zeit. Wir wollen doch weg aus Deutschland.«
»Mit einem befristeten Reisevisum bekommst du in keinem anderen Land ein Einreisevisum. Erst recht keine Aufenthaltsgenehmigung. Für dich sind nach drei Monaten alle Grenzen zu! Nur nach China kannst du zurück.«
»Ich gehöre zu dir. Uns kann keiner trennen.«
»Ein kleiner deutscher Beamter kann es – du siehst es doch.«
»Ich mag nicht in Deutschland bleiben, wenn man mich nicht will«, sagte Liyun mit Tränen in den Augen. »Wir können überall glücklich sein. Ich will nicht in diesem sogenannten demokratischen Staat leben. Ich habe mir Deutschland anders vorgestellt. Ihr redet immer von Freiheit … aber ihr seid ja gar nicht frei. Ihr ruft in die Welt hinaus: Wir verteidigen die Menschenrechte. Wo bleiben die Menschenrechte, wenn München mich abschieben will? Ihr lügt, ihr lügt alle! Laß uns weggehen aus Deutschland, Bi Xia …«
»Ich werde einen Weg finden.«
Wir müssen aus Deutschland weg, bevor Liyuns Visum abläuft, dachte er. Wir haben wirklich keine Zeit mehr. Es muß etwas geschehen … sofort geschehen … Aber was?
Es war eine Frage, auf die er keine Antwort wußte.
*
Zwei Tage lang saßen sie mittags und abends in China-Restaurants herum, aßen und beobachteten die anderen Gäste. Die erstaunten Wirte kamen an seinen Tisch, aber Rathenow beruhigte sie. »Heute kein Geld«, sagte er jedesmal. »Ich bin als Gast hier und nicht als Cho Hai.«
Das war er natürlich nicht. Nie brachte man ihnen eine Rechnung, statt dessen machte man ihnen kleine Gastgeschenke, die mit den Speisen serviert wurden. Rosen für Liyun, kleine chinesische Parfümflakons, hauchdünne Porzellanschälchen, den besten Wein und den mildesten Mao Tai.
»Wen soll ich denn fotografieren?« fragte Rathenow einmal leise Liyun. »Alle, die nach hinten gehen? Das ist doch Unsinn … sie gehen doch alle nur auf das WC.«
»Du mußt aufpassen, Schatz«, flüsterte Liyun zurück. »Alle, die länger als zehn Minuten auf dem WC bleiben, mußt du fotografieren. Zehn Minuten braucht keiner. Wenn er später zurückkommt, war er bei dem Wirt …«
»Oder er leidet an Verstopfung! Er steht dann bei Min auf der Liste und hat nur nicht scheißen können. Ein schrecklicher Gedanke: Man kommt auf eine Todesliste, weil der Darm zu träge ist!«
Aber dann, im vierten und letzten Lokal, dem Restaurant ›Lotos-Garten‹, schienen sie Erfolg zu haben. Zwei Männer gingen zusammen zur Toilette und blieben eine halbe Stunde dort. Rathenow fotografierte sie heimlich um sein Weinglas herum. Sie sahen
Weitere Kostenlose Bücher