Der Schwarze Mandarin
werden Blitz und Donner sein und die schwüle Luft reinigen. Kein Russe wird es mehr wagen, unsere Kreise zu stören. München wird wieder allein den Triaden gehören.« Min Ju grinste breit und verzog sein fettes Gesicht. Entgegen Dr. Freiburgs Prognose hatte er kein Gramm abgenommen, eher ein paar Pfund zugelegt. »Die Hurenbesuche wären auch was für dich, Bruder. Einen Mann in reifen Jahren schaukeln die Weiber gern hin und her.«
»Jetzt erinnerst du mich an Dr. Freiburg.«
»Ein guter Arzt – aber er ist ärmer an Wissen als unsere Barfußärzte.«
»Ich werde es ihm mit Freuden bestellen.« Rathenow trat von der Schreibtischkante zurück. »Ich soll also jetzt auch zum Stammgast der Bordelle werden?«
»Nein, nein … du bleibst in deinem Revier.« Min winkte lachend ab. »So hart will ich Liyun nicht bestrafen. Wofür auch? Liebst du sie noch immer?«
»Bis zu meinem Lebensende.«
»Das ehrt dich, Hong Bai Juan Fa. Du liebst eine Chinesin und wirfst sie nach dem Genuß nicht weg! Das würde mir sehr mißfallen. Wann kommst du wieder?«
»Wenn der nächste Film voll ist.«
Min Ju erhob sich und gab ihm die Hand. »Und vergiß nicht: Kurz den Atem anhalten, und dann auf den Auslöser drücken. Ich hoffe, daß der nächste Film besser wird.«
Doch es gab keinen nächsten Film mehr.
Zwei Tage später fanden Wanderer in einem Wald bei Rosenheim zwei erschossene Chinesen. Sie waren aneinander gefesselt und durch einen Genickschuß getötet worden. Eine klassische Hinrichtung nach russischer Art.
Das war auch die Ansicht von Peter Probst und Lutz Benicke – und damit wurde es ein Fall, der in die Mappe ›ungelöst‹ kam. Der Chef der Pathologie der Universität rief Oberrat Benicke an und sagte sarkastisch:
»Wieder zwei. Danke! Kommen noch mehr? In der Anatomie herrscht Hochstimmung. So viele ›Fische‹ haben wir selten gehabt. Wieder Triaden?«
»Vermutlich. Wir erwarten einen Bandenkrieg zwischen Chinesen und Russen. Wir ahnen ihn – wissen tun wir gar nichts. Aber halten Sie noch einige Kühlkästen bereit, Herr Professor.«
Wieder zwei Tage später traf es die Russen … In einem Moorgebiet bei Erding entdeckten Jäger zwei Fleischklumpen, die einmal Menschen gewesen waren. Die Toten waren regelrecht zerhackt worden. Von ihren Gesichtern war nichts mehr zu erkennen, alle Finger waren abgetrennt und verschwunden. Die Leichen waren nicht mehr zu identifizieren.
Ninglins Handschrift.
Grauen schüttelte Rathenow, als er die Zeitungsmeldung las. Auch Liyun wurde blaß wie ein grellweiß geschminkter Darsteller der Peking-Oper und kroch in sich zusammen.
»Deine … Brüder?« fragte sie, kaum hörbar. »Dieser … dieser Ninglin?«
»Ja. Nur er kann so grausam sein. Er wird vor Freude gesungen haben, als er die Russen zerhackte. Wenn er tötet, überfällt ihn der Wahnsinn. So ein Wesen gibt es nur einmal.«
»Du mußt es der Polizei sagen.«
»Erst, wenn wir in Sicherheit sind. Der Verdacht würde sofort auf mich fallen. Alle wissen, daß ich Aisin Ninglin nicht mag.«
»Soll das Morden weitergehen?«
»Es klingt fürchterlich, aber: Besser sie, als wir. Wenn sich Gangster gegenseitig umbringen, dann sollte man … Mein Gott, was denke ich da …?«
Er rannte in sein Arbeitszimmer und warf sich dort auf das Sofa. Liyun folgte ihm nicht. Sie wußte, daß er jetzt allein sein mußte mit seinem Gewissen, seiner Angst, seinem Haß und seiner Hilflosigkeit. Er ging durch die Hölle – würde er einen Ausweg finden?
Am nächsten Tag fuhr Liyun allein nach Saarbrücken, um ihre Koffer von Dr. Frantzen zu holen. Sie hatte es so gewollt, und Rathenow war einverstanden gewesen. Frau Frantzen umarmte und küßte sie, als sie aus dem Zug stieg.
Auf der Fahrt zu Frantzens Villa fragte sie Liyun: »Willst du wirklich bei diesem Dr. Rathenow bleiben? Überleg es dir gut.«
»Ich habe alles überlegt«, antwortete Liyun ohne Zögern.
»Ein berühmter Mann, 33 Jahre älter als du! Wir haben Angst, daß er nur mit dir spielt.«
»Ihr kennt Hans nicht. Er ist der wunderbarste Mann, den ich mir denken kann. Und – ich liebe ihn.« Und sie dachte an ihn, und sie vermißte ihn jetzt schon. Ihr fehlten sein Atem, seine warme Haut, seine Hände und seine zärtliche Stimme, wenn er »Gute Nacht, Niang Niang« sagte. Und auch an sein Schnarchen hatte sie sich gewöhnt. Es war ein paarmal vorgekommen, daß sie ihn in der Nacht nicht hörte … da hatte sie sich erschrocken über ihn gebeugt und war
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