Der Schwarze Mandarin
nicht wie Russen aus – aber wie sieht ein Russe aus? Wenn er nicht gerade aus dem asiatischen Raum kommt, sieht er aus wie du und ich.
»Auch hier können wir uns irren.« Rathenow steckte die Kamera wieder ein. »Es können auch Schwule sein. Toiletten-Treff – sehr beliebt.«
»Das werde ich feststellen.«
Liyun stand auf, ging ohne Zögern und sichtlich kokett auf den Tisch der beiden Männer zu und sagte mit einem entwaffnenden Lächeln:
»Kann ich für einen Moment Ihr Salz haben? Bei uns am Tisch fehlt es.«
»Aber bitte. Nehmen Sie es sich«, sagte der eine.
»Ich bringe es sofort zurück.«
»Nicht nötig«, sagte der andere. »Wir brauchen es doch nicht.«
»Wie schmeckt Ihnen das Essen hier?«
»Sehr gut!«
Es kam Liyun darauf an, mehr von ihrer Sprache zu hören, und deshalb fragte sie unschuldig weiter.
»Essen Sie öfter hier?«
»Nein.« Der Mann links von Liyun grinste sie an. »Zum erstenmal. Aber wir werden öfter wiederkommen. Vielleicht treffen wir uns mal.«
»Möglich!«
Sie lachte, drehte sich um und ging mit wiegenden Hüften zu ihrem Tisch zurück. Rathenow sah, wie die beiden Männer ihr nachstarrten und der eine dem anderen in die Rippen stieß. Schwul waren sie also bestimmt nicht.
»Es sind Russen«, sagte Liyun, als sie wieder bei Rathenow Platz nahm. »Sie sprechen ein ganz hartes Deutsch. So sprechen nur Russen.«
Bald darauf verließen sie den ›Lotos-Garten‹, und als Rathenow an dem Tisch der Russen vorbeiging, dachte er: Ihr armen Kerle. Nächste Woche hat Ninglin euer Bild. Aber es wird ihm wenig nützen … ich habe das Foto absichtlich verwackelt. Bin ich ein Fotograf, Min Ju? Ich muß erst üben …
Am Sonntag, nach dem Golfspiel, erschien Dr. Freiburg in Grünwald, von Neugier getrieben. Noch niemand hatte Liyun gesehen; Rathenow hatte sie der ›Gesellschaft‹ bisher vorenthalten.
»Was willst du denn?« begrüßte er Dr. Freiburg nicht gerade freundlich. »Sonntags um diese Zeit stehst du doch sonst am elften Loch!«
»Ich habe mich beeilt.«
»Das war nicht notwendig. Wir hatten keine Verabredung.«
»Darf ich trotzdem eintreten?«
»Da du nun mal vor der Tür stehst – bitte.«
Dr. Freiburg sah sich in der Eingangshalle um und blickte auch in den Salon.
»Suchst du etwas?« fragte Rathenow.
»Kein Geruch von Räucherstäbchen oder Rosenduft. – Wo ist sie?«
»Im Garten.«
»Könntest du die unter Verschluß gehaltene Perle einmal der Öffentlichkeit, vertreten durch mich, zeigen?«
»Du platzt vor Neugier, was?«
»Nein, ich bin dein Arzt. Ich muß sehen, ob das chinesische Wunder gut für deinen Kreislauf ist.«
»Ich fühle mich fabelhaft.«
»Kein morgendliches Zittern in den Beinen? Keine Leere im Rückenmark?«
»Wäre es nicht besser, du gehst wieder? Sehr schnell sogar – ehe ich dir in den Hintern trete?«
»Nur einen Blick aus der Ferne. Zugegeben: Meine Neugier ist enorm! Franziska trägt die Trennung mit Würde …«
»Sie soll endlich ihre Sachen abholen lassen! Sie machen Liyun nervös.«
»Ach, das kleine Hascherl! Ich bemerke mit Entsetzen, daß sie dich voll im Griff hat. Wenn sie ruft: Bärchen tanz! – dann tanzt unser hirnamputiertes Bärchen um sie herum und schnauft glücklich. Soweit ist es also schon? Junge, was hat man aus dir gemacht?«
»Ich weiß jetzt endlich wieder, was Leben heißt. Was Glück bedeutet. Und wenn sie zu mir sagt: ›Bi Xia, es ist so schön mit uns‹, dann wünsche ich mir, ewig zu leben.«
»Was ist Bi Xia?« fragte Freiburg.
»Bi Xia heißt Kaiser.«
»Sie sagt zu dir: mein Kaiser?«
»Ja.«
»Welch ein raffiniertes Luder! Welch eine glitzernde Giftschlange! Mein Kaiser, mein Bi Xia – damit wickelt sie dich in Goldpapier, und du merkst nicht, wie du darin erstickst. Junge, sie ist ja gefährlicher, als ich dachte! Laß mich nur einen Blick auf sie werfen!«
»Von weitem. Du sprichst kein Wort mit ihr! So lange, bis du bereit bist, sittsam mit ihr zu reden. Wenn du vor ihr deine Sauereien auskotzt, ist unsere Freundschaft für immer beendet. Ist das klar?«
»Superklar.«
»Komm mit!« Sie gingen in den Wintergarten, von dem aus sie den ganzen Garten überblicken konnten. Liyun saß in einem ihrer winzigen Bikinis am Rand des Schwimmbeckens. Sie war gerade aus dem Wasser gekommen. Auf ihrer Haut glitzerten die Wassertropfen. »Das ist sie!« sagte Rathenow ergriffen, wie immer, wenn er ihre Schönheit sah.
Dr. Freiburg starrte sie eine Weile an und wandte sich dann
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