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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seine Wohnung! Und dann bumsen sie bis zum Morgengrauen.
    Es war ein gemeiner Gedanke, aber Rathenow konnte nur noch so denken. Er sah ihren schlanken, mädchenhaften weißen Körper, wie er unter dem des muskelbepackten Mannes fast erdrückt wurde. Er hörte förmlich ihr Seufzen und Stöhnen. Und plötzlich hatte er das Gefühl zu ersticken. Er drehte sich um und stürzte zurück ins Hotel.
    Mit freudigem Abschiedshupen fuhr Zhi durch die Toreinfahrt. Aber Rathenow hörte das schon nicht mehr. Er flüchtete in den Lift, hieb mit beiden Fäusten gegen die Kabinenwand, als er nach oben schwebte, und dachte: Was hast du denn erwartet, du Rindvieh? Was, bitte, hast du erwartet? 58 Jahre und noch so dämlich!
    In der Halle erhob sich ein schmächtiger Chinese, der bisher auf einer Marmorbank gehockt hatte. Er kochte vor Wut. Als er in die Bar gewollt hatte, hatte man ihm keinen Tisch gegeben. »Alles besetzt. Genosse, sehen Sie doch, sie stehen an den Wänden, so voll ist es.« Auch der Geschäftsführer des Hotels, den er rufen ließ, konnte ihm nicht helfen.
    »Ich gebe Ihnen 100 Yuan für einen Tisch!« hatte der kleine Chinese gebrüllt. »Ich will hinein.«
    »Heute bekommen Sie für 1.000 Yuan keinen Platz!« Der Hotelmanager hob bedauernd die Arme.
    »Dann stellen Sie mir einen Stuhl hinein.«
    »Wir haben auch keine Stühle mehr. Die brauchen wir im Speisesaal. Wenn Sie vielleicht im Speisesaal Platz nehmen.«
    »Das ist ein Scheißladen«, schrie der kleine Chinese. »Und Sie sind ein Scheißkerl! Wir werden uns das merken.«
    »Wir? Erwarten Sie noch Gäste? Kommen noch mehr?« fragte der Manager ahnungslos. »Ich bedaure …«
    So setzte sich also der Mann, der Rathenow wie ein Schatten folgte, auf die Marmorbank neben der Rezeption und wartete geduldig, bis Liyun und Rathenow sich verabschiedeten. Dann ging auch er zu seinem Wagen, der neben Zhis Auto parkte, und fuhr ihnen nach.
    *
    Es war eine furchtbare Nacht für Rathenow.
    Nein, keine ›Hühnchen‹ boten sich an, um ihn mit chinesischen Liebesspielen zu verwöhnen. Auch der Lärm auf dem Flur hätte ihn nicht gestört, wo morgens um drei Uhr vier Chinesen laut darüber diskutierten, ob das riesige Mao-Denkmal in Lijiang noch zeitgemäß sei oder besser abgerissen werden sollte, und auch das Türenknallen zu den anderen Zimmern hätte er noch hinnehmen können. Aber er konnte einfach nicht schlafen. Rathenow wälzte sich im Bett, stand auf, legte sich wieder hin, brühte sich einen Tee auf, ging zum Fenster und blickte auf einen begrünten Innenhof, wanderte im Zimmer herum, stieg wieder ins Bett und sprang wieder auf, weil sein Herz raste und ihm das Atmen schwerfiel. Wenn er sich bewegte, ging es ihm besser. Ab und zu blieb er stehen, starrte gegen die grün gestrichene Wand, seufzte und hieb mit der Faust dagegen. Dann saß er wieder in dem kleinen Sessel neben dem Teetischchen, starrte vor sich hin und steigerte sich in den Gedanken hinein: Ich breche die Reise ab. Ich fliege übermorgen von Kunming nach Hongkong zurück. Nur noch die neunstündige Rückfahrt von Dali, und dann Adieu Liyun, für immer Adieu. Ich will nie mehr von dir hören, ich will dich vergessen, ich werde alle Fotos von dir zerreißen.
    Jetzt bumsen sie, dachte er. Jetzt kommt auch der Muskelberg ins Schwitzen.
    Er stöhnte auf. Ich werde verrückt. Ich möchte alles zerstören: das Zimmer, die Möbel, das Haus, die ganze Welt und mich!
    Irgendwann schlief er dann doch ein, im Sessel sitzend, den Kopf auf der Brust. Als ihn der Weckdienst aufschreckte, schüttelte er sich wie ein Hund, der aus dem Wasser steigt.
    »Rathenow, du bist der größte Ochse, der herumläuft!« sagte er laut ins Zimmer hinein. »Das Leben ist nun mal so und die Wahrheit oft bitter wie Zyankali. Schluck sie, und dann Schluß damit. Was geht dich diese Liyun an?«
    Merkwürdigerweise war er kein bißchen müde, als er um Viertel vor acht Uhr hinunter in die Hotelhalle fuhr. Schon vom Lift aus sah er, daß Liyun noch nicht da war. Natürlich, dachte er. Wie kann es anders sein? Wenn man die ganze Nacht herumturnt, ist der Morgen grausam. Das Aufstehen ist eine Qual.
    Er kaufte sich an der Rezeption die ›China Daily‹, eine Zeitung in englischer Sprache, und blätterte lustlos darin. Als er den Lift hörte – es war Punkt acht Uhr –, blickte er unwillkürlich auf.
    Mit einem strahlenden Lächeln kam Liyun auf ihn zu. Aus dem Lift. Frisch und munter, wieder in ihren hautengen, hellblauen Jeans und

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