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Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Titel: Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Strahlen der Morgenröte erglühen. Das ist die Zeit des Fatscher, des ersten Gebetes, welches kein wahrer Gläubiger versäumen oder später vornehmen darf. Darum hielt Rakab es Seraf trotz der Angst, in welcher sich alle befanden, sein Reittier an und rief mit lauter Stimme:
    »
Haï es sallah
– auf zum Gebete!
Esch schems,
das Licht des Tages, beginnt emporzusteigen. Gebt Allah die Ehre, der sie und uns geschaffen hat!«
    Er sprang vom Esel, und die anderen folgten seinem Beispiele. Er kniete nieder, das Gesicht nach Mekka gerichtet, machte mit den Händen die Bewegungen des Waschens und betete laut die erste Sure des Korans, welche ihm die anderen nachsprachen.
    Die Tiere standen schnaufend still, die Packesel in der Nähe eines stachelreichen Mimosengebüsches, welches am Fuße des linken Ufers stand, da wo eine enge Seitenschlucht in den Felsen lief. Sie waren höchst unruhig und zitterten unter ihren Lasten, was aber die frommen, eifrigen Beter nicht beachteten.
    In vielstimmigem Chore erscholl das Gebet:
    »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht – – –«
    Weiter kamen die Knieenden nicht in ihrem Gebete. In dem erwähnten Mimosengebüsche hatten gleich am Anfange leise Bewegungen stattgefunden, und jetzt, in diesem Augenblicke, erscholl das entsetzliche Brüllen abermals, aus unmittelbarster Nähe, und zwar nicht einfach, sondern aus den Kehlen mehrerer Löwen.
    Einen Augenblick lang herrschte die tiefste Stille. Die Männer waren wie vor Schreck erstarrt. Dann sprang der Neger Er Rih als der erste vom Boden auf und schrie:
    »
Ma uhna, ma uhna, madad
– zu Hilfe, zu Hilfe! Reißt aus, reißt aus!«
    Er rannte davon. Aber donnernd ertönte die Stimme des Führers und Vorbeters Rakab es Seraf:
    »– – – und nicht den Weg der Irrenden!«
    Er vollendete also als echter Muselman, welcher an das Kismet glaubt, trotz der ungeheuren Gefahr sein Gebet, und dieses Beispiel wirkte so, daß all ihm diese Worte noch nachsprachen. Freilich geschah das nicht in andächtiger Ruhe, sondern sie waren auch aufgesprungen und rannten vor Angst wirr durcheinander.
    Diese Angst hatte freilich ihre volle Berechtigung, denn ein ungeheurer Löwe hatte sich in mächtigem Sprunge auf einen der Packesel geworfen, ihn niedergerissen und zermalmte ihm krachend mit einem einzigen Bisse das Genick; eine Löwin, die ihm an Mächtigkeit der Glieder fast nichts nachgab, warf sich eben auf einen zweiten Esel, welcher ihr mit einem angstvollen Satze entgehen wollte, und ein zweiter, schon ganz ausgewachsener männlicher Löwe trat in demselben Augenblicke aus dem Gebüsch hervor und stieß, sein Opfer wählend, in stolzer, selbstbewußter Haltung ein tiefes, herausforderndes Brüllen aus. Im Hintergrunde schlich eine junge, doch sehr starke Löwin sich an ein anderes Packtier heran, welches vor Furcht der Gefahr gerade entgegengerannt und in das Gesträuch hineingesprungen war.
     

    Der Ueberfall der Löwen.
     
    Dem furchtsamen Neger Er Rih war es ebenso ergangen. Er rannte wie besessen gerade auf den alten Löwen zu und erhielt dabei von einem der Esel, welcher hinten so hoch und kräftig ausschlug, daß sein schweres Gepäck aus dem Sattel geschleudert wurde, einen solchen Schlag an die Brust, daß er zu Boden stürzte. Im nächsten Augenblicke warf sich der Löwe auf ihn.
    Die wilde Scene, welche der gegenwärtige Moment bot, spottet jeder Beschreibung. Menschen und Tiere rannten wirr durcheinander. Die ersteren wurden umgerissen und gerieten unter die Hufe der letzteren. Wer eine Stimme hatte, rief, schrie, brüllte, jammerte und zeterte aus Leibeskräften. Der Bewohner des Südens ist nicht so kaltblütig und geistesgegenwärtig wie der Nordländer. Daß nach Art und Weise der berühmten Löwenjäger Jules Gérard und Gordon Cumming ein einzelner Mann sich mutig und selbstvertrauend mit sicherer Büchse dem König der Tiere entgegenstellt, das ist ihm etwas Unerhörtes und Unbegreifliches. Zudem waren die Männer der Karawane nur mit alten Lunten-oder Steinschloßflinten bewaffnet, also höchst ungenügend solchen Tieren gegenüber.
    Nur zwei hatten ihre Besinnung nicht verloren, nämlich der tapfere »Hals der Giraffe« und Es

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