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Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Titel: Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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über mir der Himmel, unter mir der Prairieboden, und ich das einzige lebende Wesen in dieser Wildnis. Es wurde Zeit, einen Ruheplatz für die Nacht zu suchen, und ich sah mich nach einem Baume um, aber so weit mein Gesicht reichte, war keiner zu sehen. Ueberall dürres Gras, Gestrüpp und wieder Gras. Ich war dem Seefahrer gleich, der sich mitten auf dem Ocean befindet ohne Kompaß und Karte. Welchen Weg sollte ich einschlagen? Ging ich nach Westen, so konnte ich möglicherweise meinen Gefährten mich nähern, aber es war ungewiß, und ich hätte mich von den Wohnungen der Weißen entfernt, zu denen ich in der Richtung nach Osten gewiß gelangen mußte. So entschloß ich mich denn, nach Osten zu steuern, solange der Hunger mir Kräfte ließ und bis ich das Ufer des Missouri erreicht haben würde.
    Meine Schritte wurden schneller und ängstlicher, denn ich mußte vor allem ein Obdach finden. Es war zu Ende Oktober: der Wind war bereits empfindlich kalt, und ich hatte nur meinen leichten Jagdrock ihm entgegenzusetzen. Die Sonne war eben im Begriff, unter den Horizont herabzusinken; da erblickte ich einen noch mehrere Meilen entfernten Waldstreif. Das wirkte auf mich wie der Sporn des Reiters auf ein ermüdetes Pferd. Mit frischem Mute lief ich die Abhänge der Hügel hinab und bahnte mir einen Weg durch das struppige Gras. Aber nun ging die Sonne unter, und sobald das Dunkel eintrat, verschwamm alles vor meinen Augen, und der Wald, welcher kaum noch zwei (englische) Meilen entfernt sein konnte, war nicht mehr zu sehen. Ich bestieg abermals einen Hügel, um auf seinem Gipfel den Aufgang des Mondes abzuwarten, denn ich fürchtete, in der Dunkelheit die Richtung zu verlieren.
    Ein trauriges Gefühl beimächtigte sich meiner, wie ich so da saß, nichts als die trostlose Wüste um mich, den kalten Himmel mit seinen funkelnden Sternen über mir. Der Wind hatte sich in einen Sturm verwandelt und brauste pfeifend daher, dann und wann das Geheul eines Wolfes mit sich herüberbringend. Ueber eine Stunde lang saß ich, auf meine Büchse gelehnt, die Augen auf den östlichen Horizont gerichtet, ungeduldig auf das Erscheinen des Mondes harrend. Nie habe ich seinen Aufgang so freudig betrachtet als jetzt, wo er über der grenzenlosen Fläche emporstieg.
    Alsbald setzte ich meine Wanderung fort, und nach einem angestrengten Marsche von einer Stunde erreichte ich den Wald. Von den Indianern hatte ich bereits gelernt, ein mit Zweigen überdecktes Lager zu bereiten, und es dauerte nicht lange, so wärmte ich mich an einem lustig auflodernden Feuer, das ich neben dem Stamme eines umgefallenen Baumes angezündet hatte. Meine Eßlust war stark, aber meine Ermüdung noch stärker, und bald war ich eingeschlafen. Doch die zunehmende Gewalt des Sturmes weckte mich wieder. Bisweilen sank des Brausen zu dumpfen Tönen herab, dann schwoll es wieder höher an und tobte heulend und pfeifend durch die krachenden Bäume. Ich setzte mich eine Weile an das verglimmende Feuer, dann vergrub ich mich wieder in mein Bett von Laub und Gestrüpp; aber der Schlaf war verscheucht. Es lag etwas Grausenhaftes in den Tönen des Windes. Bisweilen schien es mir, als hörte ich Stimmen durch den Wald schreien, dann war plötzlich jeder Laut verstummt. Meine Ohren sogen begierig jeden Laut ein, und es überfiel mich eine abergläubische Furcht, die ich Mühe hatte zu bekämpfen. Ich nahm meine Büchse zur Hand, denn meine Sinne waren so verwirrt und befangen, daß ich jeden Augenblick einen bewaffneten Indianer in meiner Nähe zu sehen glaubte. Endlich stand ich wieder auf und brachte das Feuer aufs neue in Brand. Da brach ein heftiger Windstoß durch den Wald und wehte Funken und Asche nach allen Seiten hin. Augenblicklich schossen fünfzig kleine Feuer ihre leckenden Zungen in die Luft, als lachten sie triumphierend mich an. Kaum waren sie geboren, so stiegen sie auch schon zu einer hohen pyramidalen Flamme auf und hüpften leicht über die zerstreuten Büschel dürren Grases dahin. Im nächsten Moment waren sie auch schon draußen auf der Prairie, und nun leuchtete eine wogende Linie glänzender Flammen in die dunkle Atmosphäre hinein.
    Eine neue Windsbraut war im Anzuge. Ein Klagen und Winseln in der Nähe kündigte sie aus der Ferne an; so wie sie näher kam, erfüllte eine Wolke wirbelnden Laubes die Luft, die jungen Bäume neigten sich zur Erde, die alten Bäume krachten. Jetzt war der Windstoß da und stürzte auf die Prairie. Myriaden glühender

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