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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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mich fangen. Sie haben herausbekommen, daß ich hier bin.»
      «Wer?»
      Sie sieht mich an und antwortet nicht. Wie schmal sie ist! denke ich. Wie schmal und wie allein in diesem kahlen Zimmer! Sie hat nicht einmal sich selbst. Nicht einmal das Alleinsein ihres Ichs. Sie ist zersprengt wie eine Granate in lauter scharfantige Stücke von Angst in einer fremden, drohenden Landschaf unfaßbarer Schrecken.
      «Niemand wartet auf dich», sage ich.
      «Doch.»
      «Woher weißt du das?»
      «Die Stimmen. Hörst du sie nicht?»
      «Nein.»
      «Die Stimmen wissen alles. Hörst du sie nicht?»
      «Es ist der Wind, Isabelle.»
      «Ja», sagt sie ergeben. «Meinetwegen ist es der Wind. Wenn es nur nicht so weh täte!»
      «Was tut weh?»
      «Das Sägen. Sie könnten doch schneiden, das ginge schneller. Aber dieses stumpfe, langsame Sägen! Alles wächst immer schon wieder zusammen, wenn sie so langsam sind! Dann fangen sie wieder von vorne an, und so hört es nie auf. Sie sägen durch das Fleisch, und das Fleisch wächst dahinter zusammen, und es hört nie auf.»
      «Wer sägt?»
      «Die Stimmen.»
      «Stimmen können nicht sägen.»
      «Diese sägen.»
      «Wo sägen sie?»
      Isabelle macht eine Bewegung, als habe sie hefige Schmerzen. Sie preßt ihre Hände zwischen die Oberschenkel.
      «Sie wollen es heraussägen. Ich soll nie Kinder haben.»
      «Wer?»
      «Die draußen. Sie sagt, sie hätte mich geboren. Jetzt will sie mich wieder in sich zurückreißen. Sie sägt und sägt. Und er hält mich fest.» Sie schauert. «Er – der in ihr ist –»
      «In ihr?»
      Sie stöhnt. «Sag es nicht – sie will mich töten – ich darf es nicht wissen –»
      Ich gehe zu ihr hinüber, um einen Lehnstuhl mit einem fahlen Rosenmuster herum, der sonderbar beziehungslos mit seiner Imitation des süßen Lebens in diesem kahlen Raum steht. «Was darfst du nicht wissen?»
      «Sie will mich töten. Ich darf nicht schlafen. Warum wacht niemand mit mir? Alles muß ich allein tun. Ich bin so müde», klagt sie, wie ein Vogel. «Es brennt, und ich kann nicht schlafen, und ich bin so müde. Aber wer kann schlafen, wenn es brennt und niemand wacht? Auch du hast mich verlassen.»
      «Ich habe dich nicht verlassen.»
      «Du hast mit ihnen gesprochen. Sie haben dich bestochen. Warum hast du mich nicht gehalten? Die blauen Bäume und der Silberregen. Du aber hast nicht gewollt. Nie! Du hättest mich retten können.»
      «Wann?» frage ich und spüre, daß etwas in mir bebt, und ich will nicht, daß es bebt, und es bebt doch, und das Zimmer scheint nicht mehr fest zu sein, es ist, als bebten die Mauern und beständen nicht mehr aus Stein und Mörtel und Verputz, sondern aus Schwingungen, dick konzentrierten Schwingungen aus Billionen von Fäden, die von Horizont zu Horizont und darüber hinaus fließen und hier verdickt sind zu einem viereckigen Gefängnis aus Hängestricken, Galgenstricken, in denen etwas Sehnsucht und Lebensangst zappelt.
      Isabelle wendet ihr Gesicht zurück zur Mauer. «Ach, es ist verloren – so viele Leben lang schon.»
      Die Dämmerung fällt plötzlich in das Fenster. Sie verhängt es mit einem Schleier aus fast unsichtbarem Grau. Alles ist noch da wie vorher, das Licht draußen, das Grün, das Gelb der Wege, die zwei Palmen in den großen Majolikatöpfen, der Himmel mit den Wolkenfeldern, das ferne, graue und rote Dächergewimmel in der Stadt hinter den Wäldern – und nichts ist mehr da wie vorher, die Dämmerung hat es isoliert, sie hat es mit dem Lack der Vergänglichkeit überzogen, es zum Fraß vorbereitet, wie Hausfrauen einen Sauerbraten mit Essig, für die Schattenwölfe der Nacht. Nur Isabelle ist noch da, geklammert an das letzte Seil des Lichtes, aber auch sie ist schon hineingezogen an ihm in das Drama des Abends, das nie ein Drama war und nur eines ist, weil wir wissen, daß es Vergehen heißt. Erst seit wir wissen, daß wir sterben müssen, und weil wir es wissen, wurde Idyll zu Drama, Kreis zur Lanze, Werden zu Vergehen und Schrei zu Furcht und Flucht zu Urteil.
      Ich halte sie fest in den Armen. Sie zittert und sieht mich an und drückt sich an mich, und ich halte sie, wir halten uns – zwei Fremde, die nichts voneinander wissen und sich halten, weil sie sich mißverstehen und sich für etwas anderes halten, als sie sind, und die doch flüchtigen Trost aus diesem Mißverständnis schöpfen, einem doppelten und dreifachen

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