Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
errötet –»
      «Wie konntest du das im Dunkeln sehen?» fragt Kurt Bach. – «Es war Mond.»
      «Bei Mond sieht man Erröten auch nicht.»
      «Man fühlt es», erklärt Wilke. «Sie errötet also, hält aber ihr Kleid immer weg vom Körper. Sie trug ein helles Kleid, und Blut macht Flecken, die schwer zu entfernen sind, deshalb. ,Ich habe Jod und Hefpflaster‘, sage ich. ,Und ich bin diskret. Kommen Sie!‘ Sie kommt und erschrickt nicht einmal.» Wilke wendet sich mir zu. «Das ist das Schöne an eurem Hof», sagt er begeistert. «Wer zwischen Denkmälern liebt, hat auch keine Angst vor Särgen. So kam es, daß nach Jod und Pflaster und einem Schluck Portwein-Verschnitt der Sarg des Riesen doch noch einen Zweck erfüllte.»
      «Er wurde zur Liebeslaube?» frage ich, um sicher zu sein.
      «Der Kavalier genießt und schweigt», erwidert Wilke.
      In diesem Augenblick tritt der Mond zwischen den Wolken hervor. Weiß leuchtet unten der Marmor, schwarz schimmern die Kreuze, und verstreut dazwischen sehen wir vier Liebespaare, zwei im Marmorlager, zwei im Granit. Einen Augenblick ist alles still und erstarrt in Überraschung – es gibt jetzt nur die Flucht oder das völlige Ignorieren der veränderten Situation. Flucht ist nicht so ungefährlich; man entkommt zwar im Augenblick, holt sich dafür aber einen solchen neurotischen Schock, daß er zur Impotenz führen kann. Ich weiß das von einem Gefreiten, der einmal von einem Vizefeldwebel der Pioniere im Wald mit einer Köchin überrascht wurde – er war erledigt fürs Leben, und seine Frau ließ sich zwei Jahre später von ihm scheiden.
      Die Liebespaare tun das Richtige. Wie sichernde Hirsche werfen sie die Köpfe herum – dann, die Augen auf das einzige erleuchtete Fenster gerichtet, unseres, das ja auch schon vorher da war, verharren sie, als hätte Kurt Bach sie ausgehauen. Es ist ein Bild der Unschuld, höchstens etwas lächerlich, auch wie bei Bachs Skulpturen. Gleich darauf wischt ein Wolkenschatten den Mond so hinweg, daß dieser Teil des Gartens dunkel ist und nur der Obelisk noch Licht hat. Aber wer steht dort, ein glitzernder Springbrunnen? Der pissende Knopf, wie die Statue in Brüssel, die jeder Soldat kennt, der in Belgien Urlaub hatte.
      Es ist zu weit, um etwas zu tun. Ich fühle mich heute auch nicht so. Wozu soll ich wie eine Hausfrau reagieren? Ich habe heute nachmittag beschlossen, diesen Platz zu verlassen, und darum strömt mir das Leben jetzt doppelt stark zu, ich fühle es überall, im Geruch der Hobelspäne und im Mond, im Huschen und Rascheln im Hof und in dem unsäglichen Wort September, in meinen Händen, die sich bewegen und es fassen können, und in meinen Augen, ohne die alle Museen der Welt leer wären, in Geistern, Gespenstern, Vergänglichkeit und der wilden Jagd der Erde vorbei an Cassiopeia und den Plejaden, in der Ahnung von endlosen fremden Gärten unter fremden Sternen, von Stellungen in großen fremden Zeitungen und von Rubinen, die jetzt in der Erde zu rotem Leuchten zusammenwachsen, ich fühle es, und das verhindert mich, eine leere Bierflasche in die Richtung der Dreißigsekundenfontäne Knopf zu werfen –
      In diesem Augenblick schlagen die Uhren. Es ist eins. Die Geisterstunde ist vorüber, wir können zu Wilke wieder Sie sagen und uns entweder weiterbetrinken, oder in den Schlaf hinabsteigen wie in ein Bergwerk, in dem es Kohle, Leichen, weiße Salzpaläste

    und begrabene Diamanten gibt.

    XIX

    Sie sitzt in einer Ecke ihres Zimmers, neben das Fenster gedrückt. «Isabelle», sage ich.
      Sie antwortet nicht. Ihre Augenlider flattern wie Schmetterlinge, die von Kindern lebend auf Nadeln gespießt sind.
      «Isabelle», sage ich. «Ich bin gekommen, um dich abzuholen.»
      Sie erschrickt und drückt sich gegen die Wand. Sie sitzt steif und verkrampf da. «Kennst du mich nicht mehr?» frage ich.
      Sie bleibt still sitzen; nur die Augen drehen sich zu mir herüber, wachsam und sehr dunkel. «Der, der sich als Doktor ausgibt, hat dich geschickt», flüstert sie.
      Es ist wahr. Wernicke hat mich geschickt. «Er hat mich nicht geschickt», sage ich. «Ich bin heimlich gekommen. Keiner weiß, daß ich hier bin.»
      Sie löst sich langsam von der Wand. «Du hast mich auch verraten.»
      «Ich habe dich nicht verraten. Ich konnte dich nicht erreichen. Du bist nicht herausgekommen.»
      «Ich konnte doch nicht», flüstert sie. «Sie standen alle draußen und warteten. Sie wollten

Weitere Kostenlose Bücher