Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
erscheint nie so kostbar und so symbolisch wie hier oben, wo die Nacht auch eine Polarnacht der Gehirne ist. «Weder das eine noch das andere ist im Weltenplan vorgesehen», sage ich. «Aber ich finde mich nicht damit ab, und wenn das für Sie menschliche Unzulänglichkeit bedeutet, so will ich gerne mein Leben lang so bleiben.»
      Wernicke erhebt sich, nimmt seinen Hut vom Haken, setzt ihn auf, grüßt mich, indem er ihn abnimmt, hängt ihn dann zurück an den Haken und setzt sich wieder. «Es lebe das Gute und Schöne!» sagt er. «Das eben meinte ich. Und nun hinaus mit Ihnen! Es ist Zeit für die Abendrunde.»
      «Können Sie Geneviève Terhoven kein Schlafmittel geben?» frage ich.
      «Das kann ich; aber das heilt sie nicht.»
      «Warum geben Sie ihr nicht wenigstens heute etwas Ruhe?»
      «Ich gebe ihr Ruhe. Und ich werde ihr auch ein Schlafmittel geben.» Er zwinkerte mir zu. «Sie waren heute besser als ein ganzes Kollegium von Ärzten. Besten Dank.»
      Ich sehe ihn unentschlossen an. Zur Hölle mit seinen Aufrägen, denke ich. Zur Hölle mit seinem Kognak! Und zur Hölle mit seinen gottähnlichen Redensarten! «Ein kräfiges Schlafmittel», sage ich.
      «Das beste, was es gibt. Waren Sie jemals im Orient? China?»
      «Wie sollte ich nach China kommen?»
      «Ich war dort», sagt Wernicke. «Vor dem Kriege. Zur Zeit der Überschwemmungen und der Hungersnöte.»
      «Ja», sage ich. «Ich kann mir denken, was jetzt kommt, und ich will es nicht hören. Ich habe genug darüber gelesen. Gehen Sie gleich zu Geneviève Terhoven? Als erstes?»
      «Als erstes. Und ich lasse sie in Ruhe.» Wernicke lächelt. «Dafür werde ich jetzt ihre Mutter einmal etwas aus der Ruhe bringen.»

    «Was willst du, Otto?» frage ich. «Ich habe heute keine Lust, über das Versmaß der Ode zu diskutieren! Geh zu Eduard!»
      Wir sitzen im Zimmer des Dichterklubs. Ich bin hingegangen, um an etwas anderes zu denken als an Isabelle; aber plötzlich widert mich alles hier an. Wozu das Reimgeklingel? Die Welt dampf von Angst und Blut. Ich weiß, daß das eine verdammt billige Folgerung ist, und überdies ist sie noch falsch – aber ich bin müde, mich selbst dauernd bei dramatisierten Banalitäten zu erwischen. «Also, was ist los?» frage ich.
      Otto Bambuss sieht mich an wie eine Eule, die mit Buttermilch gefüttert ist. «Ich war dort», sagt er vorwurfsvoll. «Noch einmal. Zuerst jagt ihr einen hin, und dann wollt ihr nichts mehr davon wissen!»
      «Das ist immer so im Leben. Wo warst du?»
      «In der Bahnstraße. Im Bordell.»
      «Was ist daran Neues?» frage ich, ohne recht hinzuhören.
      «Wir waren alle zusammen dort, wir haben für dich bezahlt, und du bist ausgerissen. Sollen wir dir dafür ein Standbild setzen?»
      «Ich war noch einmal dort», sagt Otto. «Allein. Hör doch endlich einmal zu!»
      «Wann?»
      «Nach dem Abend in der Roten Mühle.»
      «Na, und?» frage ich lustlos. «Bist du wieder vor den Tatsachen des Lebens geflüchtet?»
      «Nein», erklärt Otto. «Dieses Mal nicht.»
      «Alle Achtung! War es das Eiserne Pferd?»
      Bambuss errötet. «Das ist doch egal.»
      «Gut», sage ich. «Wozu redest du denn darüber? Es ist keine einzigartige Erfahrung. Ziemlich viele Leute in der Welt schlafen mit Frauen.»
      «Du verstehst mich nicht. Es sind die Folgen.»
      «Was für Folgen? Ich bin überzeugt, daß das Eiserne Pferd nicht krank ist. Man bildet sich so etwas immer leicht ein, besonders im Anfang.»
      Otto macht ein gequältes Gesicht. «So meine ich das nicht! Du kannst dir doch denken, weshalb ich es getan habe. Es ging alles ganz gut mit meinen beiden Zyklen, besonders mit dem ,Weib in Scharlach‘, aber ich dachte, ich brauchte noch mehr Inspiration. Ich wollte den Zyklus beenden, bevor ich aufs Dorf zurück muß. Deshalb ging ich noch einmal in die Bahnstraße. Dieses Mal richtig. Und stell dir vor, seitdem: nichts! Nicht eine Zeile. Es ist wie abgeschnitten! Das Gegenteil sollte doch der Fall sein.»
      Ich lache, obschon mir nicht danach zumute ist. «Das ist aber verdammtes Künstlerpech!»
      «Du kannst gut lachen», sagt Bambuss aufgeregt. «Aber ich sitze da! Elf Sonette tadellos fertig, und beim zwölfen dieses Unglück! Es geht einfach nicht mehr! Die Phantasie setzt aus! Schluß! Fertig!»
      «Es ist der Fluch der Erfüllung», sagt Hungermann, der herangekommen ist und anscheinend die Sache schon kennt. «Sie

Weitere Kostenlose Bücher