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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Reservation bei Fritzi zu machen, war eins für ihn. Der Sommer 920 war sein schönstes Lebensjahr; da wimmelte es von Gewittern. Manchmal vier, fünf am Tage.»
      «Was macht er jetzt?» fragt Wilke, der Amateur-Wissenschafler, interessiert.
      «Er ist tot», sage ich. «Gestorben während der letzten großen Gewitter im Oktober 920.»
      Der Nachtwind wirf eine Tür im Hause gegenüber zu. Von den Türmen schlagen die Glocken. Es ist Mitternacht. Wilke kippt einen Schnaps herunter.
      «Wie wäre es jetzt mit einem Spaziergang zum Friedhof?» fragt der manchmal etwas gefühlsrohe Gottesleugner Bach.
      Wilkes Schnurrbart bebt vor Entsetzen im Winde, der durchs Fenster weht. «Und so was nennt man nun Freunde!» sagt er vorwurfsvoll. Gleich darauf erschrickt er wieder. «Was war das?»
      «Ein Liebespaar, draußen. Mach jetzt eine Pause im Hobeln, Alfred. Iß! Gespenster lieben keine Menschen, die essen. Hast
    du keine Sprotten hier?»
      Alfred wirf mir den Blick eines Hundes zu, den man tritt, während er gerade dem Ruf der Natur folgt. «Mußt du mich daran jetzt erinnern? An mein elendes Liebesleben und die Einsamkeit eines Mannes im besten Alter?»
      «Du bist ein Opfer deines Berufs», sage ich. «Nicht jeder kann das von sich sagen. Komm zum Souper! So nennt man diese Mahlzeit in der eleganten Welt.»
      Wir greifen zu Wurst und Käse und öffnen die Bierflaschen. Der Kanarienvogel bekommt ein Salatblatt und bricht in Lebensjubel aus, ohne zu wissen, ob er Atheist ist oder nicht. Kurt Bach hebt das erdfarbene Gesicht und schnuppert. «Es riecht nach Sternen», erklärt er.
      «Was?» Wilke setzt seine Flasche in die Hobelspäne. «Was soll denn das nun wieder?»
      «Um Mitternacht riecht die Welt nach Sternen.»
      «Laß doch die Witze! Wie kann jemand nur leben wollen, wenn er an nichts glaubt und dann noch so redet?»
      «Willst du mich bekehren?» fragt Kurt Bach. «Du Erbschleicher des Himmels?»
      «Nein, nein! Oder ja, meinetwegen. Hat da nicht was geraschelt?»
      «Ja», sagt Kurt. «Die Liebe.»
      Wir hören draußen wieder ein behutsames Schleichen. Ein zweites Liebespaar verschwindet im Denkmalswald. Man sieht den weißen Fleck des wandernden Mädchenkleides.
      «Warum sehen eigentlich die Menschen so anders aus, wenn sie tot sind?» fragt Wilke. «Sogar Zwillinge.»
      «Weil sie nicht mehr entstellt sind», erwidert Kurt Bach. Wilke hält im Kauen inne. «Wieso denn das?»
      «Vom Leben», sagt der Monist.
      Wilke klappt den Schnurrbart herunter und kaut weiter. «Um diese Zeit könntet ihr doch wohl mit dem Blödsinn aufören! Ist euch denn nichts heilig?»
      Kurt Bach lacht lautlos. «Du arme Ranke! Immer mußt du was haben, um dich dran festzuhalten.»
      «Und du?»
      «Ich auch.» Die Augen in dem Gesicht aus Lehm glänzen, als wären sie aus Glas. Der Sohn der Natur ist gewöhnlich verschlossen und nichts anderes als ein gescheiterter Bildhauer mit gescheiterten Träumen; aber manchmal brechen die Urbilder dieser Träume aus ihm heraus, so wie sie vor zwanzig Jahren waren, und dann ist er auf einmal ein verspäteter Faun mit Visionen.
      Auf dem Hof knistert und flüstert und schleicht es wieder. «Vor vierzehn Tagen gab es draußen mal einen Streit», sagt Wilke. «Ein Schlosser hatte vergessen, seine Werkzeuge aus der Tasche zu nehmen, und während des stürmischen Aktes müssen sie sich so unglücklich verlagert haben, daß die Dame plötzlich von einer spitzen Ahle gestochen wurde. Sie mit einem Sprung auf, ergreif einen kleinen Bronzekranz, schlägt ihn dem Mechaniker über den Schädel – haben Sie denn das nicht gehört?» fragt er mich.
      «Nein.»
      «Haut ihm also den Bronzekranz so über die Ohren, daß er ihn nicht herunterkriegen kann. Ich mache Licht, frage, was los ist. Der Kerl, voll Angst, galoppiert los, den Bronzekranz wie ein römischer Staatsmann um den Schädel – habt ihr denn den Bronzekranz nicht vermißt?»
      «Nein.»
      «So was! Er also raus, als wenn ein Wespenschwarm hinter ihm wäre. Ich runter. Das Fräulein steht noch da, sieht auf ihre Hand. ,Blut!‘ sagt sie. ,Er hat mich gestochen! Und das in einem
    solchen Moment!‘
      Ich sehe am Boden die Ahle und reime mir zusammen, was passiert ist. Ich hebe die Ahle auf. ,Das kann Blutvergifung geben‘, sage ich. ,Sehr gefährlich! Einen Finger kann man abbinden; einen Hintern nicht. Selbst nicht einen so reizenden.‘ Sie

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