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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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und endlosen Mißverständnis, und doch dem einzigen, das wie ein Regenbogen eine Brücke vorgaukelt, wo niemals eine sein kann, ein Reflex zwischen zwei Spiegeln, weitergeworfen in eine immer fernere Leere. «Warum liebst du mich nicht?» flüstert Isabelle.
      «Ich liebe dich. Alles in mir liebt dich.»
      «Nicht genug. Die anderen sind immer noch da. Wenn es genug wäre, würdest du sie töten.»
      Ich halte sie in den Armen und sehe über sie hinweg in den Park, wo die Schatten wie amethystene Wellen von der Ebene und von den Alleen heraufwehen. Alles in mir ist scharf und klar, aber gleichzeitig ist mir, als stände ich auf einer schmalen Plattform sehr hoch über einer murmelnden Tiefe. «Du würdest es nicht ertragen, daß ich außer dir lebte», flüstert Isabelle.
      Ich weiß nichts zu antworten. Immer rührt mich etwas an, wenn sie solche Sätze sagt – als wäre eine tiefere Wahrheit dahinter, als ich erkennen kann – als käme sie vom Jenseits der Dinge, von da, wo es keine Namen gibt. «Fühlst du, wie es kalt wird?» fragt sie an meiner Schulter. «Jede Nacht stirbt alles. Das Herz auch. Sie zersägen es.»
      «Nichts stirbt, Isabelle. Nie.»
      «Doch! Das steinerne Gesicht – es zerspringt in Stücke. Morgen ist es wieder da. Ach, es ist kein Gesicht! Wie wir lügen, mit unseren armen Gesichtern! Du lügst auch –»
      «Ja –» sage ich. «Aber ich will es nicht.»
      «Du mußt das Gesicht herunterscheuern, bis nichts mehr da ist. Nur glatte Haut. Nichts mehr! Aber dann ist es immer noch da. Es wächst nach. Wenn alles stillstände, hätte man keine Schmerzen. Warum wollen sie mich lossägen von allem? Warum will sie mich zurück? Ich verrate doch nichts!»
      «Was könntest du verraten?»
      «Das, was blüht. Es ist voll Schlamm. Es kommt aus den Kanälen.»
      Sie zittert wieder und drückt sich an mich. «Sie haben meine Augen festgeklebt. Mit Leim, und dann haben sie Nadeln hindurchgesteckt. Aber ich kann trotzdem nicht wegsehen.»
      «Wegsehen wovon?»
      Sie stößt mich von sich. «Sie haben dich auch ausgeschickt! Ich verrate nichts! Du bist ein Spion. Sie haben dich gekauf! Wenn ich es sage, töten sie mich.»
      «Ich bin kein Spion. Warum sollten sie dich töten, wenn du es mir sagst? Sie könnten das doch ohne das viel besser. Wenn ich es weiß, müßten sie mich ja auch töten. Es wüßte dann einer mehr.»
      Es dringt durch zu ihr. Sie sieht mich wieder an. Sie überlegt. Ich halte mich so still, daß ich kaum atme. Ich spüre, daß wir vor einer Tür stehen und daß dahinter die Freiheit sein könnte. Das, was Wernicke Freiheit nennt. Die Rückkehr aus dem Irrgarten in normale Straßen, Häuser und Beziehungen. Ich weiß nicht, ob es soviel besser sein wird, aber darüber kann ich nicht nachdenken, wenn ich diese gequälte Kreatur vor mir sehe. «Wenn du es mir erklärst, werden sie dich in Ruhe lassen», sage ich. «Und wenn sie dich nicht in Ruhe lassen, werde ich Hilfe holen. Von der Polizei, von Zeitungen. Sie werden Angst bekommen. Und du brauchst dann keine mehr zu haben.»
      Sie preßt die Hände zusammen. «Es ist nicht das allein», bringt sie schließlich hervor.
      «Was ist es noch?»
      Ihr Gesicht wird in einer Sekunde hart und verschlossen. Wie weggewischt ist die Qual und die Unentschlossenheit. Der Mund wird klein und schmal, und das Kinn tritt hervor. Sie hat jetzt etwas von einer dünnen, puritanischen, bösen Jungfer. «Laß nur!» sagt sie. Auch ihre Stimme ist verändert.
      «Schön, lassen wir es. Ich brauche es nicht zu wissen.»
      Ich warte. Ihre Augen glitzern flach, wie nasser Schiefer im letzten Licht. Alles Grau des Abends scheint sich in ihnen zu sammeln; sie sieht mich überlegen und spöttisch an. «Das möchtest du wohl, was? Vorbeigelungen, Spion!»
      Ich werde ohne Grund wütend, obschon ich weiß, daß sie krank ist und daß diese Bewußtseinsbrüche blitzartig kommen. «Geh zum Teufel», sage ich ärgerlich. «Was geht mich das alles an!»
      Ich sehe, daß ihr Gesicht sich wieder verändert; aber ich gehe rasch hinaus, voll unbegreiflichen Aufruhrs.

    «Und?» fragt Wernicke.
      «Das ist alles. Warum haben Sie mich zu ihr hineingeschickt? Es hat nichts gebessert. Ich tauge nicht zum Krankenpfleger. Sie sehen ja – als ich vorsichtig mit ihr hätte reden sollen, habe ich sie angeschrien und bin weggelaufen.»
      «Es war besser, als Sie ahnen.» Wernicke holt hinter seinen Büchern

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