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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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der Sarg des Riesen eine ständige Mahnung, nicht zu leichtgläubig zu sein, und ich glaube, das war auch der Grund, warum er mit der Zwil lingsmutter in ihre Wohnung gegangen ist – er wollte sich selbst davon überzeugen, daß die Toten inzwischen nicht schon wieder auf Holzpferden herumritten. Es wäre für Wilkes Selbstachtung zuviel gewesen, neben dem unverkäuflichen Riesensarg auch noch mit dem quadratischen Zwillingssarg hängenzubleiben und so eine Art Barnum in der Zunf der Sargtischler darzustellen. Am meisten hatte ihn bei der Sache mit Wüllmann geärgert, daß er keine Gelegenheit gehabt hatte, mit dem Riesen ein längeres Privatgespräch zu führen. Er hätte ihm alles vergeben, wenn er mit ihm ein Interview über das Jenseits hätte haben können. Der Riese war schließlich einige Stunden lang so gut wie tot gewesen, und Wilke, als Amateurwissenschafler und Gespensterfürchter, hätte viel darum gegeben, Auskunf über das Dasein auf der anderen Seite zu erhalten.
      Kurt Bach ist für all das nicht zu haben. Der Sohn der Natur ist immer noch Mitglied der Freireligiösen Gemeinde Berlin, deren Wahlspruch ist: «Macht hier das Leben gut und schön, kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn.» Es ist sonderbar, daß er trotzdem ein Bildhauer fürs Jenseits, mit Engeln, sterbenden Löwen und Adlern geworden ist, aber das war ja nicht immer seine Absicht. Als er jünger war, hielt er sich für eine Art Neffen von Michelangelo.
      Der Kanarienvogel singt. Das Licht hält ihn wach. Wilkes Hobel macht ein zischendes Geräusch. Die Nacht steht vor dem offenen Fenster. «Wie fühlen Sie sich?» frage ich Wilke. «Klopf das Jenseits bereits?»
      «Halb und halb. Es ist ja erst halb zwölf. Um die Zeit fühle ich mich, als ginge ich spazieren mit einem Vollbart in einem ausgeschnittenen Damenkleid. Unbehaglich.»
      «Werden Sie Monist», schlägt Kurt Bach vor. «Wenn man an nichts glaubt, fühlt man sich nie besonders schlecht. Auch nicht
    lächerlich.»
    «Auch nicht gut», sagt Wilke.
      «Mag sein. Aber bestimmt nicht so, als hätte man einen Vollbart und trüge ein ausgeschnittenes Damenkleid. So fühle ich mich nur, wenn ich nachts aus dem Fenster sehe, und da ist der Himmel mit den Sternen und den Millionen Lichtjahren, und ich soll glauben, daß über all dem eine Art Übermensch sitzt, dem es wichtig sein soll, was aus Kurt Bach wird.»
      Der Sohn der Natur schneidet sich behaglich ein Stück Wurst ab und verzehrt es. Wilke wird nervöser. Die Mitternacht ist schon zu nahe, und um diese Zeit liebt er solche Gespräche nicht. «Kalt, was?» sagt er. «Schon Herbst.»
      «Lassen Sie das Fenster nur ruhig offen», erwidere ich, als er es schließlich will. «Es nützt Ihnen nichts, Geister gehen durch Glas. Blicken Sie lieber auf die Akazie draußen! Sie ist die Lisa Watzek der Akazien. Hören Sie, wie der Wind in ihr rauscht! Wie ein Walzer in den seidenen Unterröcken einer jungen Frau. Eines Tages aber wird sie gefällt werden, und Sie werden Särge daraus machen –»
      «Nicht aus Akazienholz. Särge macht man aus Eiche, Tanne, Mahagoni furniert –»
      «Gut, gut, Wilke! Ist noch etwas Schnaps da?»
      Kurt Bach reicht mir die Flasche herüber. Wilke zuckt plötzlich zusammen und hobelt sich fast einen Finger ab.
      «Was war das?» fragt er erschreckt.
      Ein Käfer ist gegen die Lampe geflogen. «Ruhig Blut, Alfred», sage ich. «Keine Botschaf aus dem Jenseits. Lediglich ein schlichtes Drama der Tierwelt. Ein Mistkäfer, der zur Sonne strebt – verkörpert für ihn in einer Hundertwattbirne im Hinterhaus der Hakenstraße drei.»
      Es ist eine Verabredung, daß wir von kurz vor Mitternacht bis zum Ende der Geisterstunde Wilke duzen. Er fühlt sich dadurch geschützter. Nach ein Uhr sind wir wieder formell.
      «Ich verstehe nicht, wie man ohne Religion leben kann», sagt Wilke zu Kurt Bach. «Was macht man da, wenn man nachts im Dunkeln aufwacht bei einem Gewitter?»
      «Im Sommer?»
      «Natürlich, im Sommer. Im Winter gibt’s keine Gewitter.»
      «Man trinkt etwas Kaltes», erwidert Kurt Bach. «Dann schläf man weiter.»
      Wilke schüttelt den Kopf. Er wird um die Geisterstunde nicht nur ängstlich, sondern auch sehr religiös.
      «Ich kannte jemand, der beim Gewitter ins Bordell ging», sage ich. «Es zwang ihn direkt dazu. Er war sonst impotent; nur bei Gewitter änderte sich das. Eine Gewitterwolke sehen und zum Telefon greifen, um eine

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