Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
läßt nichts übrig. Ein hungriger Mann träumt vom Fressen. Einem satten ist es zuwider.»
«Er wird wieder hungrig werden, und die Träume werden wiederkommen», erwidere ich.
«Bei dir; nicht bei Otto», erklät Hungermann sehr zufrieden.
«Du bist oberflächlich und normal, Otto ist tief. Er hat einen Komplex durch einen anderen ersetzt. Lach nicht – es ist vielleicht sein Ende als Schrifsteller. Es ist, könnte man sagen, ein Begräbnis im Freudenhaus.»
«Ich bin leer», sagt Otto verloren. «So leer wie noch nie. Ich habe mich ruiniert. Wo sind meine Träume? Erfüllung ist der Feind der Sehnsucht. Ich hätte das wissen sollen!»
«Schreib was darüber», sage ich.
«Keine schlechte Idee!» Hungermann zieht sein Notizbuch hervor. «Ich hatte sie übrigens zuerst. Es ist auch nichts für Otto; sein Stil ist dazu nicht hart genug.»
«Er kann es als Elegie schreiben. Oder als Lament. Kosmische Trauer, Sterne tropfen wie goldene Tränen, Gott selbst schluchzt, weil er die Welt so verpfuscht hat, Herbstwind harf ein Requiem dazu –»
Hungermann schreibt eifrig. «Welch ein Zufall», sagt er zwischendurch. «Genau dasselbe mit fast denselben Worten habe ich vor einer Woche gesagt. Meine Frau ist Zeuge.»
Otto hat leicht die Ohren gespitzt. «Dazu kommt noch die Angst, daß ich mir was geholt habe», sagt er. «Wie lange dauert es, bis man es erkennen kann?»
«Bei Tripper drei Tage, bei Lues vier Wochen», erwidert der Ehemann Hungermann prompt.
«Du wirst dir nichts geholt haben», sage ich. «Sonette kriegen keine Lues. Aber du kannst die Stimmung ausnutzen. Wirf das Steuer herum! Wenn du nicht dafür schreiben kannst, schreibe dagegen! Anstatt einer Hymne auf das Weib in Scharlach und Purpur eine ätzende Klage. Eiter träuf aus den Sternen, in Geschwüren liegt Hiob, anscheinend der erste Syphilitiker, auf den Scherben des Weltalls, das Janusgesicht der Liebe, süßes Lächeln auf der einen, eine zerfressene Nase auf der anderen Seite –»
Ich sehe, daß Hungermann wieder schreibt. «Hast du das auch deiner Frau vor einer Woche erzählt?» frage ich.
Er nickt strahlend.
«Weshalb schreibst du es dann auf?»
«Weil ich es wieder vergessen hatte. Kleinere Einfälle vergesse ich of.»
«Ihr habt es leicht, euch über mich lustig zu machen», sagt Bambuss gekränkt. «Ich kann doch gar nicht gegen etwas schreiben. Ich bin Hymniker.»
«Schreib eine Hymne dagegen.»
«Hymnen kann man nur auf etwas schreiben», belehrt mich
Otto. «Nicht dagegen.»
«Dann schreib Hymnen auf die Tugend, die Reinheit, das mönchische Leben, die Einsamkeit, die Versenkung in das Nächste und Fernste, was es gibt: das eigene Selbst.»
Otto horcht einen Augenblick mit schrägem Kopf wie ein Jagdhund.« Hab‘ ich schon», sagt er dann niedergeschlagen. «Es ist auch nicht ganz meine Art.»
«Zum Teufel mit deiner Art! Mach nicht so viele Ansprüche!»
Ich stehe auf und gehe in den Nebenraum. Valentin Busch sitzt dort. «Komm», sagt er. «Trink mit mir eine Flasche Johannisberger. Das wird Eduard ärgern.»
«Ich will heute keinen Menschen ärgern», erwidere ich.
Als ich auf die Straße komme, steht Otto Bambuss schon da und starrt schmerzlich auf die Gipswalküren, die den Eingang des «Walhalla» zieren. «So etwas», sagt er ziellos.
«Weine nicht», erkläre ich, um ihn mir vom Halse zu schaffen. «Du gehörst offenbar zu den Frühvollendeten, Kleist, Bürger, Rimbaud, Büchner – den schönsten Gestalten im Dichterhimmel –, nimm es dir also nicht zu Herzen.»
«Aber die sind doch auch früh gestorben!»
«Du kannst das auch noch, wenn du willst. Rimbaud hat übrigens noch viele Jahre gelebt, nachdem er auförte zu schreiben. Als Abenteurer in Abessinien. Wie wäre das?»
Otto sieht mich an wie ein Reh mit drei Beinen. Dann starrt er wieder auf die dicken Hintern und Brüste der Gipswalküren. «Hör zu», sage ich ungeduldig. «Schreib doch einen Zyklus: ,Die Versuchungen des heiligen Antonius! Da hast du beides, Lust und Entsagung, und noch einen Haufen nebenbei.»
Ottos Gesicht belebt sich. Gleich darauf wird es konzentriert, soweit das bei einem Astralschaf mit sinnlichen Ambitionen möglich ist. Die deutsche Literatur scheint für den Augenblick gerettet zu sein, denn ich bin ihm bereits bedeutend gleichgültiger. Abwesend winkt er mir zu und strebt die Straße hinab, dem
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