Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
Nachtwächter. Oder ein Bäcker, der nachts Brot bäckt. Müssen Sie denn unbedingt Selbstrespekt haben?»
      «Natürlich. Ich bin doch ein Mensch. Nur Tiere und Selbstmörder haben keinen. Es ist schon ein Elend, dieser Zwiespalt! Immerhin, ich werde heute nacht mal zur Gastwirtschaf Blume gehen. Das Bier ist da prima.»
      Ich wandere zurück über den dunklen Hof. Vor dem Obelisken schimmert es bleich. Es ist Lisas Blumenstrauß. Sie hat ihn dort deponiert, bevor sie zur Roten Mühle gegangen ist. Ich stehe einen Augenblick unschlüssig; dann nehme ich ihn auf. Der Gedanke, daß Knopf ihn schänden könnte, ist zuviel. Ich nehme ihn mit auf meine Bude und stelle ihn in eine Terrakotta-Urne, die ich aus dem Büro heraufole. Die Blumen bemächtigen sich sofort des ganzen Zimmers. Da sitze ich nun, mit braunen und gelben und weißen Chrysanthemen, die nach Erde und Friedhof riechen, als würde ich begraben! Aber habe ich nicht wirklich etwas begraben?

    Um Mitternacht halte ich den Geruch nicht mehr aus. Ich sehe, daß Wilke fortgeht, um die Geisterstunde in der Kneipe zu überstehen, und nehme die Blumen und bringe sie in seine Werkstatt. Die Tür steht offen; das Licht brennt noch, damit der Gespensterfürchter keinen Schreck bekommt, wenn er zurückkehrt. Eine Flasche Bier steht auf dem Sarg des Riesen. Ich trinke sie aus, stelle Glas und Flasche auf das Fensterbrett und öffne das Fenster, damit es aussieht, als hätte ein Geist Durst gehabt. Dann streue ich die Chrysanthemen vom Fenster her zum halbfertigen Sarg des Bankiers Werner und lege an das Ende eine Handvoll wertloser Tausendmarkscheine. Soll Wilke sich irgendeinen Reim darauf machen! Wenn Werners Sarg deswegen nicht fertig wird, so ist das kein Unglück – der Bankier hat Dutzende von kleinen Hausbesitzern mit Inflationsgeld um ihr bißchen Besitz gebracht.

    XX
    «Möchtest du etwas sehen, das fast so ans Herz greif wie ein Rembrandt?» fragt Georg. «Immer los.»
      Er nimmt etwas aus seinem Taschentuch und läßt es auf den Tisch fallen, daß es klingt. Es dauert eine Weile, bis ich es erkenne. Gerührt schauen wir es an. Es ist ein goldenes Zwanzigmarkstück. Das letztemal, daß ich eines gesehen habe, war vor dem Kriege. «Das waren Zeiten!» sage ich. «Frieden herrschte, Sicherheit regierte, Majestätsbeleidigungen wurden noch mit Festungshaf gesühnt, der Stahlhelm war unbekannt, unsere Mütter trugen Korsetts und hohe Kragen an ihren Blusen mit eingenähten Fischbeinstäbchen, Zinsen wurden gezahlt, die Mark war ebenso unantastbar wie Gott, und vierteljährlich schnitt man geruhsam die Coupons von den Staatsanleihen ab und bekam sie in Gold ausbezahlt. Laß dich küssen, du gleißendes Symbol einer versunkenen Zeit!»
      Ich wiege das Geldstück in der Hand. Es trägt das Bildnis Wilhelms des Zweiten, der jetzt in Holland Holz sägt und sich einen Spitzbart hat wachsen lassen. Auf dem Konterfei trägt er noch den stolz auf gezwirbelten Schnurrbart, der damals hieß: Es ist erreicht. Es war tatsächlich erreicht. «Woher hast du es?» frage ich.
      «Von einer Witwe, die einen ganzen Kasten voll davon geerbt hat.»
      «Guter Gott! Was ist es wert?»
      «Vier Milliarden Papiermark. Ein kleines Haus. Oder ein Dutzend herrlicher Frauen. Eine Woche in der Roten Mühle. Acht Monate Pension für einen Schwerkriegsverletzten –»
      «Genug –»
      Heinrich Kroll tritt ein, die Fahrradspangen an den gestreifen Hosen. «Dies hier muß Ihr treues Untertanenherz entzücken», sage ich und wirble den goldenen Vogel vor ihm durch die Luf. Er fängt ihn auf und starrt ihn mit wäßrigen Augen an. «Seine Majestät», sagt er ergriffen. «Das waren noch Zeiten! Wir hatten noch unsere Armee!»
      «Es waren anscheinend für jeden verschiedene Zeiten», erwiderte ich.
      Heinrich blickt mich strafend an. «Sie werden doch wohl zugeben, daß es damals bessere Zeiten waren als heute!»
      «Möglich!»
      «Nicht möglich! Bestimmt! Wir hatten Ordnung, wir hatten eine stabile Währung, wir hatten keine Arbeitslosen, aber dafür eine blühende Wirtschaf, und wir waren ein geachtetes Volk. Oder wollen Sie das auch nicht zugeben?»
      «Ohne weiteres.»
      «Na, also! Und was haben wir heute?»
      «Unordnung, fünf Millionen Arbeitslose, eine Schwindelwirtschaf, und wir sind ein besiegtes Volk», erwidere ich.
      Heinrich ist verblüf. So leicht hat er sich das nicht gedacht. «Na also», wiederholt er. «Heute sitzen wir im

Weitere Kostenlose Bücher