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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Ich habe in der Kapelle Isabelle gesehen. Der Schein der Kerzen wehte über ihr Haar. Sie bewegte sich kaum. Die Gesichter der Kranken kamen beim Klang der Orgel herum wie helle, flache Monde. Isabelle betete; sie war gesund.
      Nachher wird es nicht besser. Es gelingt mir, Geneviève am Ausgang der Kapelle zu treffen und mit ihr ein Stück allein vorauszugehen. Wir kommen durch die Allee. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Geneviève zieht ihren Mantel um sich.
      «Wie kalt es abends schon ist.»
      «Ja. Fahren Sie diese Woche ab?»
      «Ich möchte schon. Ich war lange nicht zu Hause.»
      «Freuen Sie sich?» – «Gewiß.»
      Es ist nichts mehr zu sagen. Aber ich kann mir nicht helfen, der Schritt ist derselbe, das Gesicht im Dunkel, die weiche Ahnung. «Isabelle», sage ich, bevor wir aus der Allee treten.
      «Wie, bitte?» fragt sie erstaunt.
      «Ach», sage ich. «Es war nur ein Name.»
      Sie verhält einen Augenblick den Schritt. «Sie müssen sich irren», erwidert sie dann. «Mein Vorname ist Geneviève.»
      «Ja, natürlich. Isabelle war nur der Name für jemand anderen. Wir haben manchmal darüber gesprochen.»
      «So? Vielleicht. Man spricht über so vieles», erklärt sie entschuldigend. «Da vergißt man dies und jenes.»
    «O ja.»
    «War es jemand, den Sie kannten?»
    «Ja, so ungefähr.»
      Sie lacht leise. «Wie romantisch. Verzeihen Sie, daß ich mich nicht gleich erinnerte. Jetzt fällt es mir ein.»
      Ich starre sie an. Sie erinnert sich an nichts, ich sehe es. Sie lügt, um nicht unhöflich zu sein. «Es ist so viel in den letzten Wochen vorgefallen», sagt sie leicht und etwas überlegen. «Da geht einem alles ein wenig durcheinander.» Und dann, um die Unhöflichkeit wieder gutzumachen, fragt sie: «Wie ist es denn weiter geworden in der letzten Zeit?»
      «Was?»
      «Das, was Sie von Isabelle erzählt haben.»
      «Oh, das! Nichts weiter! Sie ist gestorben.»
      Sie bleibt erschreckt stehen. «Gestorben? Wie leid mir das tut! Verzeihen Sie, ich wußte nicht. . .»
      «Das macht nichts. Ich kannte sie auch nur flüchtig.»
      «Plötzlich gestorben?»
      «Ja», erwidere ich. «Aber so, daß sie es gar nicht gemerkt hat. Das ist ja auch etwas wert.»
      «Natürlich», sie reicht mir die Hand. «Es tut mir aufrichtig leid.»
      Ihre Hand ist fest und schmal und kühl. Sie fiebert nicht mehr. Es ist die Hand einer jungen Dame, die einen kleinen Fauxpas gemacht und wieder geordnet hat. «Ein schöner Name, Isabelle», sagt sie. «Ich habe meinen eigenen Namen früher immer gehaßt.»
      «Jetzt nicht mehr?»
      «Nein», erwidert Geneviève freundlich.
    Sie bleibt es auch weiter. Es ist die fatale Höflichkeit, die man für Leute in einer kleineren Stadt hat, die man vorübergehend trif und bald wieder vergessen wird. Ich spüre auf einmal, daß ich einen schlecht sitzenden, umgearbeiteten Militäranzug trage, den der Schneider Sulzblick aus einer alten Uniform angefertigt hat. Geneviève dagegen ist sehr gut angezogen. Sie war es immer; aber es ist mir nie so sehr aufgefallen. Geneviève und ihre Mutter haben beschlossen, zuerst einmal nach Berlin zu fahren für einige Wochen. Die Mutter ist ganz verbindliche Herzlichkeit. «Die Teater! Und die Konzerte! Man lebt immer so auf, wenn man in eine wirkliche Großstadt kommt. Und die Geschäfe! Die neuen Moden!»
      Sie tätschelt Genevièves Hand. «Wir werden uns da einmal gründlich verwöhnen, wie?»
      Geneviève nickt. Wernicke strahlt. Sie haben sie zur Strecke gebracht. Aber was ist es, das sie zur Strecke gebracht haben? denke ich. Ist es vielleicht in jedem von uns, verschüttet, verborgen, und was ist es wirklich? Ist es dann nicht auch in mir? Und ist es da auch schon zur Strecke gebracht worden, oder war es nie frei? Ist es da, ist es etwas, das vor mir da war, das nach mir da sein wird, etwas, das wichtiger ist als ich? Oder ist alles nur ein bißchen tiefgründig scheinendes Durcheinander, eine Verschiebung der Sinne, eine Täuschung, Unsinn, der wie Tiefsinn aussieht, wie Wernicke behauptet? Aber warum habe ich es dann geliebt, warum hat es mich angesprungen wie ein Leopard einen Ochsen, warum kann ich es nicht vergessen? War es nicht trotz Wernicke, als ob in einem geschlossenen Raum eine Tür geöffnet worden wäre, und man hätte Regen und Blitze und Sterne gesehen?
      Ich stehe auf. «Was ist los mit Ihnen?» fragt Wernicke. «Sie sind ja unruhig wie –» Er

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