Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
hält ein und fährt dann fort: «Wie der Dollarkurs.»
«Ach der Dollar», sagt Genevièves Mutter und seufzt.
«Ein Unglück! Zum Glück hat Onkel Gaston –»
Ich höre nicht mehr, was Onkel Gaston getan hat. Ich bin plötzlich draußen und weiß nur noch, daß ich zu Isabelle gesagt habe: «Danke, für alles», und sie verwundert gefragt hat: «Aber wofür nur?»
Ich gehe langsam den Hügel hinunter. Gute Nacht, du süßes, wildes Herz, denke ich. Leb wohl, Isabelle! Du bist nicht ertrunken, ich weiß das plötzlich. Du bist nicht untergegangen und nicht gestorben! Du hast dich nur zurückgezogen, du bist fortgeflogen, und nicht einmal das: du bist plötzlich unsichtbar geworden wie die alten Götter, eine Wellenlänge hat sich geändert, du bist noch da, aber du bist nicht mehr zu fassen, du bist immer da, und du wirst nie untergehen, alles ist immer da, nichts geht jemals unter, Licht und Schatten nur ziehen darüber hin, es ist immer da, das Antlitz vor der Geburt und nach dem Tode, und manchmal scheint es durch in dem, was wir für Leben halten, und blendet uns eine Sekunde, und wir sind nie ganz dieselben danach!
Ich merke, daß ich rascher gehe. Ich atme tief, und dann laufe ich. Ich bin naß von Schweiß, mein Rücken ist naß, ich komme zum Tor und gehe wieder zurück, ich habe immer noch das Gefühl, es ist wie eine mächtige Befreiung, alle Achsen laufen plötzlich durch mein Herz, Geburt und Tod sind nur Worte, die wilden Gänse über mir fliegen seit dem Beginn der Welt, es gibt keine Fragen und keine Antworten mehr! Leb wohl, Isabelle! Sei gegrüßt, Isabelle! Leb wohl, Leben! Sei gegrüßt, Leben!
Viel später merke ich, daß es regnet. Ich hebe mein Gesicht gegen die Tropfen und schmecke sie. Dann gehe ich zum Tor. Nach Wein und Weihrauch dufend wartet dort eine große Gestalt.
Wir gehen zusammen durchs Tor. Der Wärter schließt es hinter uns. «Nun?» fragt Bodendiek. «Wo kommen Sie her? Haben Sie Gott gesucht?»
«Nein. Ich habe ihn gefunden.»
Er blinzelt argwöhnisch unter seinem Schlapphut hervor.
«Wo? In der Natur?»
«Ich weiß nicht einmal, wo. Ist er an bestimmten Plätzen zu finden?»
«Am Altar», brummt Bodendiek und deutet nach rechts. «Ich gehe diesen Weg. Und Sie?»
«Jeden», erwidere ich. «Jeden, Herr Vikar.»
«So viel haben Sie doch gar nicht getrunken», knurrt er etwas überrascht hinter mir her.
Ich komme nach Hause. Hinter der Tür springt jemand auf mich los. «Habe ich dich endlich, du Schweinehund?»
Ich schüttle ihn ab und glaube an irgendeinen Witz. Aber er ist im Augenblick wieder hoch und rennt mir den Kopf gegen den Magen. Ich falle gegen den Obelisken, kann dem Angreifer aber gerade noch einen Tritt in den Bauch geben. Der Tritt ist nicht kräfig genug, da ich schon im Fallen bin. Der Mann stürzt sich wieder auf mich, und ich erkenne den Pferdeschlächter Watzek.
«Sie sind verrückt geworden?» frage ich. «Sehen Sie nicht, wen Sie anfallen?»
«Ich sehe es schon!» Watzek packt mich an der Kehle. «Ich sehe dich Aas schon! Aber mit dir ist jetzt Schluß.»
Ich weiß nicht, ob er besoffen ist. Ich habe auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Watzek ist kleiner als ich, aber er hat Muskeln wie ein Bulle. Es gelingt mir, mich nach rückwärts zu überschlagen und ihn gegen den Obelisken zu drücken. Er läßt halb los, ich werfe mich mit ihm zur Seite und schlage seinen Kopf dabei gegen den Sockel des Obelisken. Watzek läßt ganz los. Ich gebe ihm zur Sicherheit noch einen Stoß mit der Schulter unter das Kinn, stehe auf, gehe zum Tor und mache Licht. «Und was soll das alles?» sage ich.
Watzek erhebt sich langsam. Er ist noch etwas betäubt und schüttelt den Kopf. Ich beobachte ihn. Plötzlich rennt er wieder mit dem Kopf voran auf meinen Magen los. Ich trete zur Seite, stelle ihm ein Bein, und er schlägt mit einem dumpfen Aufschlag aufs neue gegen den Obelisken, diesmal gegen den polierten Zwischensockel. Jeder andere wäre bewußtlos gewesen; Watzek taumelt kaum. Er dreht sich um und hat ein Messer in der Hand. Es ist ein langes scharfes Schlachtermesser, das sehe ich im elektrischen Licht. Er hat es aus dem Stiefel gezogen und rennt auf mich los. Ich versuche keine unnötigen Heldentaten; gegen einen Mann, der mit einem Messer umzugehen weiß wie ein Pferdeschlächter, wäre das Selbstmord. Ich springe hinter den Obelisken; Watzek mir nach. Zum Glück bin ich
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