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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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künstlichen stählernen Hand zuschlägt. «Los! Zur Pißbude!» ruf er. «Ich decke euch!»
      Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, wie Hermann mit der künstlichen Hand arbeitet. Ich habe ihn schon öfer so kämpfen sehen; unsere Gegner aber nicht. Sie stehen einen Moment da, als ob der Satan zwischen sie gefahren wäre, und das kommt uns zugute. Wir brechen durch und stürmen zum Pissoir auf dem Neumarkt hinüber. Im Vorbeilaufen sehe ich, wie Hermann einen schönen Schlag auf der aufgerissenen Schnauze des zweiten Anführers landet. «Los, Götz» rufe ich. «Komm mit! Wir sind durch!»
      Hermann dreht sich noch einmal. Sein loser Jackenärmel flattert um ihn herum, mit dem Rest des Armstummels macht er wilde Bewegungen, um das Gleichgewicht zu halten, und mit Staunen und Grauen glotzen zwei Stiefelträger, die im Wege stehen, ihn an. Einer bekommt einen Hieb gegen das Kinn, der andere, als er die schwarze künstliche Hand auf sich zusausen sieht, kreischt voll Grauen auf, hält sich die Augen zu und rennt davon.
      Wir erreichen das hübsche viereckige Sandsteingebäude und verschanzen uns an der Damenseite. Sie ist leichter zu verteidigen. Bei der Herrenseite kann man durchs Pissoir einsteigen und uns in den Rücken fallen – bei den Damen sind die Fenster klein und hoch.
      Die Gegner sind uns gefolgt. Es müssen jetzt mindestens zwanzig sein; sie haben Zuzug von anderen Nazis bekommen. Ich sehe ein paar ihrer scheißfarbenen Uniformen. Sie versuchen, auf der Seite, wo Köhler und ich stehen, durchzubrechen. Im Gedränge merke ich aber, daß Hilfe für uns von hinten kommt. Eine Sekunde später sehe ich, daß Riesenfeld mit zusammengelegter Aktentasche, in der, hoffe ich, Granitproben sind, auf jemand einschlägt, während Renée de la Tour einen hochhackigen Schuh ausgezogen und an der Vorderseite ergriffen hat, um mit dem Hacken loszudreschen.
      Während ich das sehe, rennt mir jemand den Schädel in den Magen, daß mir die Luf mit einem Knall aus dem Munde springt. Ich schlage schwach, aber wild um mich und habe irgendwoher das sonderbare Gefühl einer vertrauten Situation. Automatisch hebe ich ein Knie, weil ich erwarte, daß der Rammbock wiederkommt. Gleichzeitig sehe ich eines der schönsten Bilder, das ich mir in dieser Lage vorstellen kann: Lisa, die wie die Nike von Samothrake über den Neumarkt heranstürmt, neben ihr Bodo Ledderhose und hinter ihm sein Gesangverein. Im gleichen Augenblick spüre ich den Rammbock aufs neue und sehe Riesenfelds Aktentasche wie eine gelbe Flagge niedergehen. Gleichzeitig macht Renée de la Tour eine blitzschnelle Bewegung nach unten, der ein Aufeulen des Rammbocks folgt. Renée schreit mit markiger Generalstimme: «Stillgestanden, Schweine!» Ein Teil der Angreifer fährt unwillkürlich zusammen. Dann tritt der Gesangverein in Aktion, und wir sind frei.

    Ich richte mich auf. Es ist plötzlich still. Die Angreifer sind geflohen. Sie schleppen ihre Verwundeten mit. Hermann Lotz kommt zurück. Er ist dem fliehenden Gegner wie ein Zentaur nachgesprengt und hat noch einem eine eiserne Ohrfeige verabreicht. Wir sind nicht schlecht weggekommen. Ich habe eine birnenartige Beule am Kopf und das Gefühl, mein Arm sei gebrochen. Er ist es nicht. Außerdem ist mir sehr übel. Ich habe zuviel getrunken, um an Magenstößen Gefallen zu finden. Wieder quält mich die sich nicht erinnernde Erinnerung. Was war das doch? «Ich wollte, ich hätte einen Schnaps», sage ich.
      «Den kriegst du», erwidert Bodo Ledderhose. «Kommt jetzt, bevor die Polizei erscheint.»
      In diesem Moment ertönt ein scharfes Klatschen. Wir drehen uns überrascht um. Lisa hat auf jemand eingeschlagen. «Du verfluchter Saufruder!» sagt sie ruhig. «So sorgst du für Heim und Frau –»
      «Du –» gurgelt die Gestalt.
      Lisas Hand klatscht zum zweitenmal nieder. Und jetzt, plötzlich, löst sich mein Erinnerungsknoten. Watzek! Da steht er und hält sich merkwürdigerweise den Hintern fest.
      «Mein Mann!» sagt Lisa ins allgemeine über den Neumarkt hin. «Mit so was ist man nun verheiratet.»
      Watzek antwortet nicht. Er blutet stark. Die alte Stirnwunde, die ich ihm geschlagen habe, ist wieder aufgegangen. Außerdem rinnt Blut aus seinen Haaren. «Waren Sie das?» frage ich Riesenfeld leise. «Mit der Aktentasche?»
      Er nickt und betrachtet Watzek aufmerksam. «Wie man sich manchmal so trif», sagt er.
      «Was hat er am Hintern?» frage ich. «Weshalb hält er den

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